Eine Krankheit allein führt nicht automatisch zur Kündigung. Dennoch kommt es immer wieder vor, dass Arbeitgeber versuchen, sich von länger oder häufig erkrankten Mitarbeitern zu trennen. Doch wann darf ein Arbeitgeber wirklich wegen Krankheit kündigen? Und welche Rechte haben Arbeitnehmer, wenn sie betroffen sind?
Diese und viele weitere Fragen beantworten wir in diesem Beitrag zur Kündigung wegen Krankheit.
- Kann jede Erkrankung zu einer Kündigung wegen Krankheit führen?
- Wann liegt eine negative Gesundheitsprognose vor?
- Welche Rolle spielt ein betriebliches Wiedereingliederungsmanagement bei der Kündigung wegen Krankheit?
- Welche betrieblichen Beeinträchtigungen tragen eine Kündigung wegen Krankheit?
- Welche Kriterien sind in der Interessenabwägung entscheidend?
- Welche Personengruppen genießen besonderen Kündigungsschutz?
- Kündigung wegen Krankheit während der Probezeit oder im Kleinbetrieb
- Krankengeld und Lohnfortzahlung nach Kündigung
- Gibt es eine Abfindung nach der Kündigung wegen Krankheit?
- Fazit
- Was wir für Sie tun können
1. Kann jede Erkrankung zu einer Kündigung wegen Krankheit führen?
Nein, kurzzeitige Krankmeldungen oder einmalige Ausfälle rechtfertigen keine Kündigung. Selbst häufige, aber vorübergehende Erkrankungen führen nicht automatisch zu einer negativen Prognose.
Der Gesetzgeber verlangt für eine wirksame krankheitsbedingte Kündigung eine strenge dreistufige Prüfung nach § 1 Abs. 2 KSchG:
- Negative Gesundheitsprognose: Es muss zu erwarten sein, dass der Arbeitnehmer auch künftig regelmäßig oder dauerhaft arbeitsunfähig sein wird.
- Erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen: Die Fehlzeiten müssen zu ernsthaften betrieblichen oder wirtschaftlichen Belastungen führen.
- Interessenabwägung: Die Interessen des Arbeitgebers an der Beendigung müssen die des Arbeitnehmers am Erhalt des Arbeitsplatzes überwiegen.
Sind diese drei Voraussetzungen nicht gleichzeitig erfüllt, ist die Kündigung unwirksam.
2. Wann liegt eine negative Gesundheitsprognose vor?
Die Gesundheitsprognose bildet den Ausgangspunkt jeder krankheitsbedingten Kündigung. Entscheidend ist nicht die Vergangenheit, sondern die zukünftige Entwicklung: Wird der Arbeitnehmer weiterhin ausfallen?
Typische Fälle sind:
- Häufige Kurzerkrankungen: Mehrere, kürzere Ausfälle summieren sich über Jahre auf eine erhebliche Fehlzeit.
- Langzeiterkrankungen: Der Arbeitnehmer ist über Monate oder Jahre ununterbrochen arbeitsunfähig.
- Leistungsbeeinträchtigungen: Der Arbeitnehmer ist zwar arbeitsfähig, kann aber aufgrund seiner Krankheit dauerhaft nicht die vertraglich geschuldete Leistung erbringen.
Beispiel: Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz bestätigte die Kündigung eines Außendienstmitarbeiters, der seit Jahren dauerhaft krank war und keine Aussicht auf Genesung hatte. Da er über mehrere Jahre kaum gearbeitet hatte und eine Rückkehr völlig ungewiss war, lag eine dauerhafte Leistungsunfähigkeit vor: die Kündigung war wirksam (LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 12.04.2021, 3 Sa 363/20).
Vergangene Fehlzeiten sind aber nur Indizien. Eine Prognose darf sich nicht allein darauf stützen. Entscheidend sind medizinische Befunde, Diagnosen und die Einschätzung, ob sich der Gesundheitszustand voraussichtlich bessern wird. Eine ärztliche Stellungnahme kann helfen, den Verdacht einer negativen Prognose zu entkräften.
So entschied das Arbeitsgericht Köln: Eine langjährig beschäftigte Arbeitnehmerin hatte zwar in früheren Jahren viele Fehltage, zeigte aber zuletzt eine deutliche gesundheitliche Stabilisierung. Da der negative Trend unterbrochen war, bestand keine belastbare negative Prognose und die Kündigung war unwirksam (LAG Köln, Urt. v. 01.09.2022, 8 Sa 393/21).
3. Welche Rolle spielt ein betriebliches Wiedereingliederungsmanagement bei der Kündigung wegen Krankheit?
Selbst wenn eine negative Prognose besteht, darf der Arbeitgeber nicht sofort kündigen. Er muss prüfen, ob der Arbeitnehmer durch Anpassungen oder Hilfsmaßnahmen weiterbeschäftigt werden kann. Insofern spielt das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) nach § 167 Abs. 2 SGB IX eine entscheidende Rolle.
Ein BEM ist kein bloßer Formalakt, sondern Voraussetzung für die Verhältnismäßigkeit der Kündigung. Es dient dazu, gemeinsam mit dem Arbeitnehmer (und ggf. Betriebsrat oder Schwerbehindertenvertretung) Wege zu finden, die Arbeitsfähigkeit zu erhalten oder wiederherzustellen.
Ein einmal durchgeführtes BEM reicht nicht aus, wenn der Arbeitnehmer später erneut länger als sechs Wochen erkrankt. In diesem Fall muss der Arbeitgeber ein weiteres BEM anbieten. Unterlässt der er dies, gilt die Kündigung regelmäßig als unverhältnismäßig (BAG, Urt. v. 18.11.2021, 2 AZR 138/21).
Selbst wenn das Integrationsamt einer Kündigung zustimmt, ersetzt das nicht das BEM. Der Arbeitgeber bleibt verpflichtet, eigenständig zu prüfen, ob Anpassungen die Weiterbeschäftigung ermöglichen könnten. Das ist etwa durch technische Hilfsmittel oder geänderte Aufgaben zu bewerkstelligen (BAG, Urt. v. 15.12.2022, 2 AZR 162/22).
Wird das BEM nicht oder fehlerhaft durchgeführt, wird das Gericht vermuten, dass mildere Mittel als die Kündigung bestanden hätten. Die Kündigung ist dann meist unwirksam.
Hinweis: Auch ohne vorheriges BEM kann eine krankheitsbedingte Kündigung in manchen Fällen ausnahmsweise wirksam sein. Voraussetzung ist, dass der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess darlegt, dass ein BEM objektiv nutzlos gewesen wäre. Das geschieht anhand dieser Anforderungen:
- Der Arbeitgeber kann den bisherigen Arbeitsplatz nicht leidensgerecht umgestalten.
- Auch nach einer Reha-Maßnahme existiert kein anderer geeigneter Arbeitsplatz.
- Auch gesetzliche Hilfen oder Leistungen können die Fehlzeiten nicht vermeiden.
- Ein BEM hätte in keinem Fall dazu beitragen können, neuerlichen Krankheitszeiten vorzubeugen und das Arbeitsverhältnis zu erhalten (BAG, Urt. v. 20.11.2014, 2 AZR 755/13).
Ein BEM kann auch dann aussichtslos sein, wenn der Arbeitnehmer entweder die Teilnahme oder die notwendigen Auskünfte für ein ordnungsgemäß angebotenes BEM verweigert. Dann gilt das ausgebliebene BEM als „kündigungsneutral“ und bliebt folgenlos (BAG, Urt. v. 24.03.2011, 2 AZR 170/10).
4. Welche betrieblichen Beeinträchtigungen tragen eine Kündigung wegen Krankheit?
Ein weiteres Kriterium ist die betriebliche oder wirtschaftliche Belastung durch die Erkrankung. Der Arbeitgeber muss konkret darlegen, welche Störungen im Betriebsablauf oder welche Kosten durch die Fehlzeiten entstehen.
Selbst hohe Entgeltfortzahlungskosten oder freiwillige Sonderzahlungen (z. B. Weihnachtsgeld) begründen allein keine erhebliche Beeinträchtigung. Nur wenn der Betrieb spürbar gestört oder das wirtschaftliche Gleichgewicht ernsthaft gefährdet ist, kann die Kündigung gerechtfertigt sein (BAG, Urt. v. 22.07.2021, 2 AZR 125/21).
Beispiel: Eine Bilanzbuchhalterin war lange arbeitsunfähig. Der Arbeitgeber setzte intern eine Ersatzkraft ein, ohne nachvollziehbar darzulegen, warum keine befristete Vertretung möglich war. Das Gericht sah darin keine unzumutbare Belastung. Die Kündigung war sozial ungerechtfertigt (LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 10.01.2024, 3 Sa 74/23).
5. Welche Kriterien sind in der Interessenabwägung entscheidend?
Fairness und Verhältnismäßigkeit sind bei der Kündigung wegen Krankheit die beiden obersten Gebote in der Interessenabwägung.
Selbst wenn Prognose und Beeinträchtigung vorliegen, muss das Gericht prüfen, ob die Kündigung unter sozialen Gesichtspunkten gerechtfertigt ist. Dabei werden unter anderem berücksichtigt:
- Dauer der Betriebszugehörigkeit
- Alter des Arbeitnehmers
- Familien- und Unterhaltspflichten
- Ursachen der Erkrankung (ggf. betriebsbedingt?)
- Chancen auf dem Arbeitsmarkt
Beispiel: Ein Arbeitnehmer, der nach 25 Jahren im Betrieb schwer erkrankt, genießt einen deutlich stärkeren Schutz als ein Mitarbeiter mit kurzer Betriebszugehörigkeit.
Gerade bei langjähriger Loyalität oder betriebsbedingten Ursachen der Krankheit (z. B. Stress, Unfall am Arbeitsplatz) überwiegt häufig das Interesse des Arbeitnehmers: die Kündigung ist dann unwirksam.
6. Welche Personengruppen genießen besonderen Kündigungsschutz?
Einige Personengruppen genießen einen besonderen gesetzlichen Schutz. Bei ihnen ist eine krankheitsbedingte Kündigung nur unter außergewöhnlichen Umständen möglich. Dazu zählen:
- Schwerbehinderte und Gleichgestellte: Gültig ist eine Kündigung hier nur mit Zustimmung des Integrationsamts (§ 168 SGB IX).
- Betriebsratsmitglieder sind während ihrer Amtszeit ordentlich unkündbar, es ist dann nur eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grund möglich, § 15 KSchG, § 626 BGB. Zusätzlich müsste der Betriebsrat zustimmen, § 103 Abs. 1 BetrVG.
- Für Arbeitnehmer in Elternzeit ist eine Kündigung nur mit behördlicher Zustimmung wirksam (§ 18 BEEG).
- Auszubildende nach der Probezeit dürfen ebenfalls nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes gekündigt werden (§ 22 Abs. 2 BBiG).
- Manche Tarifverträge sehen ordentliche Unkündbarkeit für langjährige Arbeitnehmer vor. Das prominenteste Beispiel ist § 34 Abs. 2 Satz 1 TVöD.
„Ein „wichtiger Grund“ für die außerordentliche Kündigung liegt bei ordentlich Unkündbaren nur ganz ausnahmsweise vor.
Er kann bei häufigen Kurzerkrankungen gegeben sein, wenn voraussichtlich an mehr als einem Drittel der jährlichen Arbeitstage Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu leisten wäre. Trotzdem ist eine strenge Interessenabwägung sowie die Prüfung milderer Mittel (insb. BEM) erforderlich (BAG, Urt. v. 25.04.2018, 2 AZR 6/18).
7. Kündigung wegen Krankheit während der Probezeit oder im Kleinbetrieb
In der Probezeit (§ 622 Abs. 3 BGB) oder in Betrieben mit weniger als zehn Mitarbeitern (§ 23 KSchG) gilt das Kündigungsschutzgesetz nicht. Eine Kündigung wegen Krankheit ist dort deutlich leichter möglich.
Allerdings darf sie nicht willkürlich oder diskriminierend erfolgen. Unzulässig wäre etwa eine Kündigung:
- ausschließlich wegen der Geltendmachung von Rechten (Verstoß gegen das Maßregelungsverbot, § 612a BGB),
- oder zur „Unzeit“, etwa unmittelbar nach einem schweren Arbeitsunfall im Krankenhaus.
Auch in Kleinbetrieben bleibt also ein Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme verpflichtend.
8. Krankengeld und Lohnfortzahlung nach Kündigung
Erkrankt ein Arbeitnehmer vor oder während der Kündigungsfrist, hat er weiterhin Anspruch auf Lohnfortzahlung für bis zu sechs Wochen (§ 3 EFZG). Danach übernimmt die Krankenkasse mit Krankengeld (70 % des Bruttolohns, max. 90 % des Nettos).
Läuft die Kündigungsfrist ab, während der Arbeitnehmer noch krank ist, bleibt der Anspruch auf Krankengeld bestehen – in der Regel bis zu 78 Wochen.
Endet dagegen die Kündigungsfrist vor Ablauf der sechs Wochen Lohnfortzahlung, kann der Arbeitgeber sogar über das Arbeitsverhältnis hinaus zur Zahlung verpflichtet sein, wenn die Kündigung wegen Krankheit ausgesprochen wurde.
9. Abfindung nach krankheitsbedingter Kündigung
Ein gesetzlicher Anspruch auf Abfindung besteht nicht automatisch. In vielen Fällen zahlen Arbeitgeber jedoch freiwillig, um einen langwierigen Prozess zu vermeiden. Die Höhe und Erfolgsaussichten hängen stark von der Prozesssituation ab.
Ausführliche Informationen finden Sie in unserem Artikel, der sich allein dem Thema Abfindung bei Kündigung wegen Krankheit widmet.
10. Fazit
- Eine Kündigung wegen Krankheit ist nur in Ausnahmefällen rechtmäßig. Arbeitgeber müssen eine strenge, dreistufige Prüfung (Gesundheitsprognose, betriebliche Beeinträchtigung, Interessenabwägung) lückenlos erfüllen.
- Eine negative Gesundheitsprognose allein genügt nicht. Ohne konkrete betriebliche Belastung oder nachvollziehbare Zukunftsprognose ist die Kündigung unwirksam.
- Wird kein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durchgeführt, verstößt die Kündigung in der Regel gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip und scheitert vor Gericht.
- Arbeitnehmer mit besonderem Kündigungsschutz (etwa Schwerbehinderte, Elternzeitler oder tariflich Unkündbare) genießen zusätzliche rechtliche Hürden, die eine Kündigung oft ausschließen.
- In vielen Fällen bestehen trotz Kündigung Aussichten auf eine Abfindung, etwa im Rahmen einer Kündigungsschutzklage oder eines gerichtlichen Vergleichs.
- Wichtig: Eine Kündigungsschutzklage muss innerhalb von drei Wochen beim Arbeitsgericht eingereicht werden, sonst wird selbst eine rechtswidrige Kündigung wirksam.
11. Was wir für Sie tun können
Eine Kündigung wegen Krankheit ist rechtlich hochkomplex. Als erfahrene Fachanwälte für Arbeitsrecht prüfen wir Ihren Fall detailliert und vertreten Ihre Interessen konsequent gegenüber Ihrem Arbeitgeber.
- Wir prüfen sofort, ob Ihre krankheitsbedingte Kündigung rechtmäßig ist und ob Chancen auf Abfindung oder Weiterbeschäftigung bestehen.
- Gemeinsam entwickeln wir eine individuelle Verteidigungs- und Verhandlungsstrategie, abgestimmt auf Ihre persönliche und gesundheitliche Situation.
- Wir reichen die Klage fristgerecht beim Arbeitsgericht ein und vertreten Sie kompetent, erfahren und durchsetzungsstark in allen Instanzen.
- In vielen Fällen erzielen wir durch geschickte Verhandlungen hohe Abfindungen oder einvernehmliche Beendigungen mit Vorteilen für Sie.
- Wir überprüfen sorgfältig, ob der Arbeitgeber das BEM-Verfahren, die Gesundheitsprognose oder die Sozialauswahl korrekt durchgeführt hat. Schon ein einziger Fehler kann die Kündigung unwirksam machen.
- Auf Wunsch beraten wir Sie auch nach dem Verfahren: etwa zu Arbeitslosengeld, Zeugniskorrektur oder Neuverhandlungen mit dem Arbeitgeber.



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