Betriebliche Übung und Arbeitszeit: Überstunden, Bereitschaft & mehr

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Die Dauer der Arbeitszeit sowie ihr Beginn und Ende sind für den Arbeitnehmer von großer Bedeutung. Vieles ist im Arbeitsvertrag geregelt. Aspekte der Arbeitszeit können sich allerdings auch aus der Gewohnheit im Betrieb ergeben. Man spricht von betrieblicher Übung. Ganz besonders gilt dies für Überstunden. 

  1. Was ist betriebliche Übung?
  2. Welche Arbeitszeit gilt?
  3. Wie kann sich die betriebliche Übung auf die Arbeitszeit auswirken?
    1. Beginn und Ende der Arbeitszeit
    2. Bereitschaftsdienst
    3. Überstunden
  4. Kann die betriebliche Übung verhindert oder aufgehoben werden?
  5. Fazit
  6. Was wir für Sie tun können

Was ist betriebliche Übung?

Die zu leistende Arbeit wird grundlegend durch den Arbeitsvertrag bestimmt. In diesem vereinbaren Arbeitnehmer und Arbeitgeber, welche Tätigkeit geschuldet ist und wie sie bezahlt wird. 

Der Arbeitsvertrag kann jedoch durch eine betriebliche Übung abgeändert und ergänzt werden. 

Von betrieblicher Übung spricht man, wenn der Arbeitnehmer darauf vertrauen kann, dass der Arbeitgeber an bisher gewählten Abläufen und Leistungen auch in Zukunft festhalten wird.  

Hier gilt die Faustformel, dass eine dreimal hintereinander erbrachte Leistung genügt. Im Einzelfall kann eine betriebliche Übung jedoch auch schon früher oder erst später begründet werden.  

Klassisches Beispiel für die betriebliche Übung ist die Auszahlung von Weihnachtsgeld. Gewährt der Arbeitgeber dieses mehrere Jahre hintereinander, besteht grundsätzlich ein Anspruch darauf auch in den kommenden Jahren. Ähnlich ist es mit regelmäßigen Gehaltserhöhungen.   

Zentrale Voraussetzung einer betrieblichen Übung ist also die regelmäßige Wiederholung eines bestimmten Verhaltens. Hierdurch kann der Arbeitnehmer auf die Fortführung dieser Praxis schließen.

Folge der betrieblichen Übung ist daher eine Abänderung der arbeitsvertraglichen Rechte und Pflichten. Dies gilt grundsätzlich sogar für neu eingestellte Arbeitnehmer.

Welche Arbeitszeit gilt?

Wie lange ein Arbeitnehmer in der Woche insgesamt arbeiten muss, wird im Arbeits-oder Tarifvertrag geregelt. Detailfragen wie

  • Beginn und Ende der Arbeit 
  • sowie Uhrzeit der Mittagspause

bestimmt in der Regel der Arbeitgeber einseitig. Gibt es einen Betriebsrat, so hat dieser ein Mitbestimmungsrecht. 

Die Berechnung der Arbeitszeit ist allerdings auch durch das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) bestimmt. Dieses legt folgende grundlegende Regelung (§ 2 I ArbZG) fest:

Arbeitszeit = Arbeitsbeginn bis Arbeitsende abzüglich der Pausen.

Die Arbeitszeit beginnt also mit Arbeitsantritt des Arbeitnehmers und endet mit Beendigung der Arbeit. Die Pausen werden aus dieser Zeitspanne jedoch rausgerechnet und zählen nicht zur Arbeitszeit.

Auch nicht zur Arbeitszeit zählen private Erledigungen des Arbeitnehmers wie Arztbesuche.

Nicht zur Pause zählt hingegen die „Toilettenpause“. Der Arbeitnehmer muss also nicht befürchten, dass ihm diese von der Arbeitszeit abgezogen wird. Auch kleine Ablenkungen, beispielsweise das kurze Lesen eines Zeitungsartikels am PC, werden nicht von der Arbeitszeit abgezogen. Diese Beschäftigung dient lediglich der kurzfristigen Entspannung des Arbeitnehmers und trägt somit zur Konzentration bei. 

Hinweis: Der Arbeitnehmer hat ein Recht auf eine Pause ab einer Arbeitszeit von mindestens 6 Stunden (§ 4 ArbZG).

Das Arbeitszeitgesetz dient dem Schutz des Arbeitnehmers. Der Arbeitgeber kann daher nur in Ausnahmefällen von den darin gemachten Vorgaben abweichen (§ 7 ArbZG).

Wie kann sich die betriebliche Übung auf die Arbeitszeit auswirken?

Eine betriebliche Übung kann nicht nur für die Gewährung von Geld- oder Sachleistungen gelten, sondern auch die Arbeitszeit beeinflussen.

Beginn und Ende der Arbeitszeit

Oftmals ist zwar die Stundenzahl, nicht aber der Beginn und das Ende der Arbeitszeit arbeitsvertraglich geregelt. Insbesondere in Unternehmen mit Schichtbetrieb möchte der Arbeitgeber flexibel bleiben. Der Arbeitnehmer wird hingegen fixe Arbeitszeiten bevorzugen. 

Für Beginn und Ende der Arbeitszeit gibt es allerdings gerade keine betriebliche Übung.

 

Der Arbeitgeber kann recht frei bestimmen, wann der Arbeitnehmer seine Arbeit zu verrichten hat.

Hierzu folgender Beispielfall (Az. 9 SA 1325/98), der vor dem Landesarbeitsgericht Hessen verhandelt wurde:

Arbeitnehmer B war bei Arbeitgeber A seit mehreren Jahren beschäftigt. Eine arbeitsvertragliche Regelung zur genauen Uhrzeit seiner Arbeit bestand nicht. B wurde jedoch stets nur in der Nachtschicht eingesetzt.

A ordnete nun an, dass der B fortan in der Tagschicht arbeiten solle. B wehrte sich gegen diese Anordnung. Durch die langjährige Beschäftigung in der Nachtschicht sei nämlich eine betriebliche Übung entstanden. Er habe daher auch weiterhin einen Anspruch auf Arbeit in der Nachtschicht. A berief sich hingegen auf sein Weisungsrecht.

Hiergegen erhob B Klage. Mit Erfolg?

Das LAG Hessen entschied, dass B keinen Anspruch auf Arbeit in der Nachtschicht habe. Auch wenn B eine lange Zeit in der Nachtschicht beschäftigt gewesen sei, habe der Arbeitgeber nicht zu erkennen gegeben, dass B nur noch in dieser Schicht arbeiten solle. Hiervon habe auch der B nicht ausgehen können.

Ein weiteres Beispiel: Kellner K arbeitet seit 20 Jahren für B. Er musste stets nur wochentags arbeiten. Nun soll K die nächsten Monate sonntags arbeiten. Kann K sich hiergegen wehren?

Grundsätzlich nicht. Besteht in einem Betrieb die Möglichkeit der Sonn- und Feiertagsarbeit, kann der Arbeitgeber diese auch anordnen.

Auch Arbeitsbeginn und -ende unterliegen dem Weisungsrecht des Arbeitgebers.

Beispiel: Auch wenn in einem Unternehmen seit Jahren von 8-17 Uhr gearbeitet wurde, muss die Arbeit auf Weisung des Arbeitgebers fortan von 9-18 Uhr erbracht werden.

Aber Achtung: Bei der Verlegung von Arbeitszeit bestehen oftmals gesetzliche Vorschriften zum Schutze des Arbeitnehmers. Auch hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht über die Verteilung der Arbeitszeit.

Arbeitnehmer sollten sich daher bei solchen Weisungen des Arbeitgebers an einen Fachanwalt für Arbeitsrecht wenden und die Rechtmäßigkeit der Verlegung überprüfen lassen.

Bereitschaftsdienst

Ganz ähnlich verhält es sich beim Bereitschaftsdienst. Dieser geht zwar oftmals mit finanziellen Vorzügen einher; ein Anspruch auf Bereitschaftsdienst wegen regelmäßiger Zuteilung in der Vergangenheit entsteht aber grundsätzlich nicht.

Etwas anderes kann gelten, wenn beispielsweise eine schriftliche Zusage des Arbeitgebers vorliegt oder der Arbeitsvertrag einen Anspruch gewährt. Es kann sich für Arbeitnehmer daher lohnen, den Einzelfall arbeitsrechtlich überprüfen zu lassen.

Überstunden

Besonders relevant ist die betriebliche Übung bei Überstunden, denn oftmals ist im Arbeitsvertrag nicht geregelt, wie mit Überstunden verfahren werden soll. 

  • Werden diese ausbezahlt? 
  • Oder kann der Arbeitnehmer sich dafür an einem anderen Arbeitstag freinehmen („Freizeitausgleich“)? 

Hier besteht im Unternehmen oftmals eine betriebliche Übung, von welcher der Arbeitgeber nicht ohne weiteres abweichen kann (so die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht). 

Beispiel: Die Arbeitnehmer des Arbeitgebers A dürfen sich als Ausgleich für Überstunden regelmäßig freinehmen. Nun möchte A Überstunden lieber vergüten und seine Arbeitnehmer mehr arbeiten lassen. Müssen diese sich darauf verweisen lassen?

Nein. Die Arbeitnehmer können auch weiterhin Freizeitausgleich aufgrund betrieblicher Übung verlangen.

 

Gewährt der Arbeitgeber einen Zuschlag für Überstunden, so kann auch hier eine betriebliche Übung entstehen. Der Arbeitgeber kann dann nicht bestimmen, dass fortan nur noch der normale Stundenlohn für Überstunden ausbezahlt wird.

Die betriebliche Übung kann sogar so weit gehen, dass ein Arbeitnehmer Anspruch auf Überstunden samt entsprechender Vergütung hat.

Beispiel nach LAG Niedersachsen, (Az.: 7 Sa 55/00): Arbeitnehmer B arbeitet als Monteur 35 Stunden pro Woche. Dies sieht auch der Tarifvertrag so vor. Alle anderen Monteure arbeiten pro Woche allerdings 45 Stunden. Die zehn Überstunden werden ihnen vergütet. 
Arbeitnehmer B hat grundsätzlich ebenfalls einen Anspruch auf Bezahlung von zehn Überstunden. Dies gilt sogar, obwohl er diese Überstunden nie erbracht hat. Er muss seine Arbeitskraft lediglich anbieten.

 

Kann die betriebliche Übung verhindert oder aufgehoben werden?

Eine betriebliche Übung kann für den Arbeitgeber eine erhebliche finanzielle Belastung und Einschränkung seiner Handlungsmöglichkeiten bedeuten.

Am besten wäre es daher für den Arbeitgeber, wenn eine betriebliche Übung gar nicht erst entstünde. Dies ist auf verschiedenen Wegen möglich:

  • Er gewährt die Leistungen nicht regelmäßig.
  • Er gewährt die Leistungen ausdrücklich freiwillig („Freiwilligkeitsvorbehalt“). 

Beispiel: Der Arbeitgeber formuliert „Ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“. Allerdings sollte er möglichst konkret und mit Bezug auf den Einzelfall beschreiben, was er meint. Sonst ist der Freiwilligkeitsvorbehalt schnell unwirksam.

 

  • Er bestimmt im Arbeitsvertrag, dass alle Ergänzungen schriftlich erfolgen müssen. Allerdings kann eine solche Klausel eine betriebliche Übung nur verhindern, wenn sie 
    • auch für die Abbedingung der Schriftform eine schriftliche Abrede verlangt („doppelteSchriftformklausel“) 
    • und deutlich macht, dass individuelle mündliche Absprachen trotz doppelter Schriftformklausel Vorrang haben.

Viele Klauseln genügen diesen Anforderungen nicht.

Möchte der Arbeitgeber verhindern, dass eine bereits entstandene betriebliche Übung auch für neue Arbeitnehmer gilt, muss er dies ausdrücklich im Arbeitsvertrag ausschließen.

Bis zum Jahre 2015 entstand eine betriebliche Übung auch dann nicht, wenn die Leistung zwar regelmäßig, aber in schwankender Höhe gewährt wurde. Dies gilt nun nicht mehr. Auch hier kann eine betriebliche Übung entstehen.

Die Aufhebung einer betrieblichen Übung ist alles andere als einfach. Nach veralteter Rechtsprechung konnte ein Arbeitgeber durch eine „gegenläufige betriebliche Übung“ die vorherige Übung aufheben. Von einer solchen sprach man, wenn der Arbeitgeber die betriebliche Übung einstellte und die Arbeitnehmer diese Einstellung akzeptierten. 

Beispiel: Arbeitgeber A gewährt seit Jahren Überstundenzuschläge. Nun kündigt er an, diese nicht mehr zahlen zu wollen. Die Arbeitnehmer nehmen dies in der Folgezeit stillschweigend hin.

Diese Möglichkeit wurde jedoch durch das Bundesarbeitsgericht verworfen (Az. 10 AZR 281/08).

Eine einmal entstandene betriebliche Übung kann aber dann aufgehoben werden, wenn sich der Arbeitgeber ihren Widerruf bei der Erteilung der Vergünstigung vorbehalten hat.

War dies nicht der Fall, bleiben dem Arbeitgeber nur zwei Möglichkeiten zur Aufhebung einer betrieblichen Übung:

  1. Einigung mit den Arbeitnehmern
  2. Änderungskündigungen

Die Aufhebung einer betrieblichen Übung kann somit gegen den Willen der Arbeitnehmer nur durch eine Änderungskündigung herbeigeführt werden. Eine solche löst das Arbeitsverhältnis auf und begründet ein neues Arbeitsverhältnis ohne betriebliche Übung.

Die Änderungskündigung ist jedoch – wie alle Kündigungen – an hohe Voraussetzungen geknüpft. Ein betroffener Arbeitnehmer hat daher gute Chancen, die Änderungskündigung zusammen mit seinem Anwalt vor Gericht anzugreifen und so die betriebliche Übung aufrecht zu erhalten.

Fazit

  • Von einer betrieblichen Übung spricht man, wenn der Arbeitnehmer aufgrund regelmäßiger Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers auch in Zukunft auf diese vertrauen kann. 
  • Die Arbeitszeit richtet sich grundlegend nach dem Arbeits- oder Tarifvertrag. Sie beginnt mit Aufnahme der Arbeit und endet mit deren Beendigung. Nicht zur Arbeitszeit zählen die Pausen.
  • Ein Anspruch auf einen bestimmten Beginn oder ein bestimmtes Ende des Arbeitstages aufgrund betrieblicher Übung kann aber nicht entstehen. Gleiches gilt für den Bereitschaftsdienst.
  • Aus betrieblicher Übung kann sich ein Anspruch auf Verrichtung von Überstunden ergeben. Ob die Mehrarbeit in Freizeit auszugleichen oder zu bezahlen ist, kann sich ebenso nach betrieblicher Übung richten. 
  • Eine betriebliche Übung kann insbesondere durch einen Freiwilligkeitsvorbehalt oder eine doppelte Schriftformklausel verhindert werden.
  • Eine entstandene betriebliche Übung kann gegen den Willen der Arbeitnehmer nur durch Widerrufsvorbehalt oder Änderungskündigung aufgehoben werden.

Was wir für Sie tun können

Für Arbeitnehmer: 

  • Gerade in Bezug auf Überstunden ergeben sich aus betrieblicher Übung diverse Rechte für Arbeitnehmer. Viele Arbeitgeber berücksichtigen die Bindung an diese Vorgaben nicht. Daher bestehen oft gute Chancen, Ihre Rechte außergerichtlich und notfalls vor Gericht durchzusetzen. Wir unterstützen Sie dabei mit all unserer Erfahrung im Arbeitsrecht.
  • Der Arbeitgeber hat bei der Festlegung der Arbeitszeit diverse Vorgaben des Arbeitsschutzes und der Mitbestimmungsrechte zu beachten. Schnell kommt es hier zu Fehlern. Wir spüren diese auf und wehren uns gegen rechtswidrige Bestimmungen zur Arbeitszeit. 

Für Arbeitgeber:

  • Arbeitgeber sollten immer ein wachsames Auge auf das Entstehen einer betrieblichen Übung haben. Schon im Arbeitsvertrag sollte Vorsorge geschaffen werden. Wir prüfen Ihre Verträge in dieser Hinsicht und beraten Sie, wie etwa mit Überstunden verfahren werden kann, ohne auf Dauer gebunden zu sein. 
  • Möchten Sie eine einmal entstandene betriebliche Übung beseitigen, benötigen Sie anwaltlichen Rat. Wir erörtern mit Ihnen, welche Gestaltungsmöglichkeit Ihnen kostengünstig und rechtssicher neue Flexibilität verschafft. 
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