Nicht immer sind bei Massenentlassungen die Voraussetzungen für eine Kündigung erfüllt. Wann lohnt es sich besonders, gegen eine Kündigung bei einer Massenentlassung vorzugehen?
- Was ist eine Massenentlassung?
- Welche Voraussetzungen gelten für den Arbeitgeber bei einer Massenentlassung?
a. Anzeigepflicht
b. Sperrfrist
c. Sozialplan und Interessenausgleich - Wann ist ein Vorgehen gegen eine Massenentlassung erfolgversprechend?
a. Fehler bei den gesetzlichen Vorgaben zur Massenentlassung
b. Fehlende Anhörung des Betriebsrates
c. Fehlerhafte Sozialauswahl
d. Besonderer Kündigungsschutz - (Höhere) Abfindung durch Kündigungsschutzklage?
- Welche Kündigungsfrist gilt bei einer Massenentlassung?
- Fazit
- Was wir für Sie tun können
1. Was ist eine Massenentlassung?
In den vergangenen Jahren haben z.B. Fluggesellschaften immer wieder für Schlagzeilen gesorgt. Diese wollten aufgrund der Grenzschließungen während der Covid-19-Pandemie ihr Angebot teils erheblich verringern und deshalb im großen Stil Personal abbauen. Fast immer handelte es sich dabei um Massenentlassungen. An deren zusätzlichen Voraussetzungen scheiterten dann auch einige Kündigungen vor Gericht.
- bei Betrieben mit mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern mindestens fünf Arbeitnehmern gekündigt wird.
- bei Betrieben mit 60 bis 500 Arbeitnehmern 10 % oder mindestens 25 Arbeitnehmern gekündigt wird.
- bei Betrieben mit 500 Arbeitnehmern mindestens 30 Arbeitnehmern gekündigt wird.
Eine Entlassung liegt auch vor, wenn der Arbeitgeber die Beendigung des Arbeitsverhältnisses anders als durch eine Kündigung herbeiführt. Dies ist zum Beispiel bei Abschluss eines Aufhebungsvertrages der Fall, wenn die Initiative vom Arbeitgeber ausgeht.
Nicht einberechnet werden grundsätzlich außerordentliche Kündigungen. Die Regelungen für Massenentlassungen gelten zudem nicht in Betrieben mit weniger als 20 Arbeitnehmern und Saisonbetrieben.
2. Welche Voraussetzungen gelten für den Arbeitgeber bei einer Massenentlassung?
An das Vorliegen einer Massenentlassung knüpfen sich zahlreiche Rechtsfolgen für den Arbeitgeber; dies sind unter anderem:
a. Anzeigepflicht
Nach § 17 Abs. 1 KSchG muss der Arbeitgeber eine Massenentlassung bei der Agentur für Arbeit anzeigen. Mindestens zwei Wochen zuvor muss er zudem den Betriebsrat über die geplante Massenentlassung informieren. Man spricht von der sog. Massenentlassungsanzeige.
b. Sperrfrist
Gemäß § 18 Abs. 1 KSchG gilt für die Wirksamkeit von Kündigungen bei Massenentlassungen eine Sperrfrist von in der Regel einem Monat nach Erstattung der Massenentlassungsanzeige. So soll der Agentur für Arbeit ausreichend Zeit verschafft werden, die Folgen von Entlassungswellen möglichst gut abzufedern.
Ab der Zulässigkeit der Kündigung muss der Arbeitgeber die Kündigungen innerhalb von 90 Tagen aussprechen, danach ist eine erneute Massenentlassungsanzeige erforderlich. Durch diese Regelung wird „Anzeigen auf Vorrat“ durch den Arbeitgeber vorgebeugt.
c. Sozialplan und Interessenausgleich
Im Zuge einer Massenentlassung müssen in aller Regel zwischen dem Betriebsrat und dem Arbeitgeber Verhandlungen über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan stattfinden.
Ein Interessenausgleich regelt das ob, wie und wann einer Massenentlassung durch den Arbeitgeber. Den Abschluss eines Interessenausgleichs kann der Betriebsrat jedoch nicht erzwingen. Das Gremium hat lediglich einen Anspruch auf Verhandlungen über einen Interessenausgleich. Kommt ein solcher aber zustande, kann der Arbeitnehmer Klage erheben, wenn der Arbeitgeber sich nicht an die Vereinbarungen aus dem Interessenausgleich hält. Auf diesem Weg kann der Arbeitnehmer eine erhöhte Abfindung bei einer betriebsbedingten Kündigung durchsetzen.
Regelungsinhalt eines Interessenausgleichs kann zum Beispiel sein:
- Versetzungsangebote für betroffene Arbeitnehmer
- Das Zeitfenster für die Massenentlassung
- Eine Namensliste mit sozial weniger schutzbedürftigen Arbeitnehmern. Beim Interessenausgleich mit Namensliste bestimmen der Betriebsrat und der Arbeitgeber einzelne Mitarbeiter, die sie für weniger schutzbedürftig halten und zur Kündigung auswählen. Für diese Mitarbeiter gilt ein geringerer Kündigungsschutz. Vor Gericht wird vermutet, dass die betrieblichen Erfordernisse zur Kündigung dieser Mitarbeiter vorliegen. Zudem kann die Sozialauswahl nur auf grobe Fehler untersucht werden.
Ein Sozialplan hingegen ist vom Betriebsrat erzwingbar. Er stellt eine Einigung über den Ausgleich und die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile dar, die dem Arbeitnehmer durch die Massenentlassung entstehen. Was das konkret heißt, hängt von den Verhandlungen zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat ab.
Einige typische Regelungen für einen Sozialplan sind:
- Vereinbarung einer Abfindung
- Aufstockung des Arbeitslosengeldes
- Fortbildungen
- Wechsel in eine Transfergesellschaft
3. Wann ist ein Vorgehen gegen eine Massenentlassung erfolgversprechend?
Aufgrund der zahlreichen zusätzlichen Voraussetzungen zur ordentlichen betriebsbedingten Kündigung muss der Arbeitgeber weit im Voraus planen, um eine Massenentlassung ordnungsgemäß durchzuführen. Die zahlreichen Fehlermöglichkeiten sind ein Einfallstor für vielfältige Strategien einer Kündigungsschutzklage. Aufgrund der kurzen Klagefrist von nur drei Wochen ist jedoch stets eine frühzeitige Abstimmung mit einem Fachanwalt für Arbeitsrecht geboten. Nach Ablauf der Frist ist nämlich auch eine eigentlich fehlerhafte Kündigung stets wirksam!
Typische Fehler des Arbeitgebers bei Massenkündigungen können sein:
a. Fehler bei den gesetzlichen Vorgaben zur Massenentlassung
Eine Kündigungsschutzklage kann erfolgreich sein, wenn der Arbeitgeber die Agentur für Arbeit nicht oder nicht vollständig über die geplante Massenentlassung informiert hat. Ebenso kann eine Kündigung an der fehlenden Unterrichtung des Betriebsrats scheitern.
b. Fehlende Anhörung des Betriebsrates
Zusätzlich zur Unterrichtung des Betriebsrats muss der Arbeitgeber vor jeder Kündigung diesen noch einmal anhören. Anschließend muss er diesem eine Woche Zeit für eine Stellungnahme geben. Kommt der Arbeitgeber dieser Pflicht nicht nach, ist eine Kündigung ebenfalls unwirksam.
c. Fehlerhafte Sozialauswahl
Bei einer betriebsbedingten Kündigung muss der Arbeitgeber bestimmte Kriterien in der sogenannten Sozialauswahl berücksichtigen. So sollen diejenigen Arbeitnehmer geschützt werden, die am Arbeitsmarkt schlechtere Chancen auf einen neuen Job haben. Die zu berücksichtigenden Kriterien sind:
- Die Dauer der Betriebszugehörigkeit
- Das Lebensalter
- Eine Schwerbehinderung
- Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers
Eine betriebsbedingte Kündigung, die diese Kriterien nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat, ist unwirksam.
d. Besonderer Kündigungsschutz
Einige Arbeitnehmergruppen genießen einen so hohen Kündigungsschutz, dass sie ordentlich kaum kündbar sind.
- Betriebsratsmitglieder
- Auszubildende nach der Probezeit
- Schwerbehinderte
- Schwangere
Gehören Sie zu einer dieser Gruppen, ist eine Kündigungsschutzklage mit einer hohen Wahrscheinlichkeit erfolgversprechend. Aus dieser Position lässt sich auch die Zahlung einer überproportional hohen Abfindung erstreiten.
Ein besonderer Kündigungsschutz kann sich aber auch aus einer tarifvertraglichen Regelung ergeben: Häufig wird hier für Arbeitnehmer ab einer bestimmten Betriebszugehörigkeit und einem bestimmten Lebensalter der Ausschluss der ordentlichen Kündigung vereinbart. Ein vorzeitiges Ausscheiden ohne wichtigen Grund darf sich der Arbeitnehmer auch in diesem Fall teuer bezahlen lassen.
4. (Höhere) Abfindung durch Kündigungsschutzklage?
Durch eine erfolgreiche Kündigungsschutzklage lässt sich zunächst einmal erreichen, dass das Arbeitsverhältnis bestehen bleibt. Dann kann zumindest für die Zeit, nachdem die Kündigung durch den Arbeitgeber erfolgt ist, Lohnnachzahlung verlangt werden.
Häufig endet ein Kündigungsschutzverfahren jedoch mit einem Vergleich. Dabei verzichtet der Arbeitnehmer auf die Fortsetzung des Kündigungsschutzprozesses und bekommt im Gegenzug eine Abfindung vom Arbeitgeber gezahlt. Die Höhe der Abfindung variiert dabei stark, da sie von den wechselseitigen zu prognostizierenden Erfolgsaussichten abhängt.
0,5 Monatsgehälter x Jahre der Betriebszugehörigkeit
Diese Formel dient allerdings nur der groben Orientierung. Je nach voraussichtlichen Erfolgsaussichten der Klage sind auch geringere oder deutlich höhere Beträge möglich.
Eine Abfindung muss, wie der sonstige Arbeitslohn auch, versteuert werden. Rechtlich ist es jedoch möglich, die Abfindung fiktiv auf fünf Jahre zu verteilen und so eine einmalige, besonders hohe Steuerbelastung zu vermeiden.
5. Welche Kündigungsfrist gilt bei einer Massenentlassung?
Unabhängig von der Anzahl der abgebauten Stellen gelten die gewöhnlichen Kündigungsfristen. In erster Linie ergeben diese sich aus dem Arbeits- oder Tarifvertrag. Nur wenn dort nichts geregelt oder die Vereinbarung unwirksam ist, kommen die gesetzlichen Fristen zum Einsatz. Diese richten sich nach § 622 BGB und haben folgende Dauer:
Betriebszugehörigkeit | Dauer der Kündigungsfrist |
Vereinbarte Probezeit, max. in den ersten 6 Monaten | 2 Wochen |
Weniger als 2 Jahre | 4 Wochen zum 15. oder zum Monatsende |
Ab 2 Jahren | 1 Monat zum Monatsende |
Ab 5 Jahren | 2 Monate zum Monatsende |
Ab 8 Jahren | 3 Monate zum Monatsende |
Ab 10 Jahren | 4 Monate zum Monatsende |
Ab 12 Jahren | 5 Monate zum Monatsende |
Ab 15 Jahren | 6 Monate zum Monatsende |
Ab 20 Jahren | 7 Monate zum Monatsende |
6. Fazit
- Wann eine Massenentlassung vorliegt, hängt von der Betriebsgröße ab.
- Bei Massenentlassungen hat der Arbeitgeber eine Vielzahl an zusätzlichen Bestimmungen zu beachten. Dies erhöht die Fehlerwahrscheinlichkeit und die Chancen für den Arbeitnehmer, erfolgreich gegen die Kündigung vorzugehen.
- Durch einen Interessenausgleich können Arbeitgeber und Betriebsrat die Modalitäten der Massenentlassung regeln. Stehen Sie auf einem Interessenausgleich mit Namensliste, ist Ihr Kündigungsschutz schwächer.
- In einem Sozialplan vereinbaren Arbeitgeber und Betriebsrat, wie die Folgen der Kündigung für betroffene Arbeitnehmer besser abgefedert werden können. Ein Sozialplan ist durch den Betriebsrat erzwingbar.
- Werden Sie im Rahmen einer Massenentlassung gekündigt, ist stets schnelles Handeln gefragt. Wie bei jeder Kündigung kann eine Kündigungsschutzklage nur innerhalb von drei Wochen erhoben werden! Anschließend ist die Kündigung kaum noch angreifbar.
7. Was wir für Sie tun können
Für Arbeitnehmer:
- Sollten Sie eine Kündigung erhalten haben, prüfen wir Ihre Entlassung und erheben in den meisten Fällen Klage vor dem Arbeitsgericht. Dort verhandeln wir über eine attraktive Abfindung oder setzen uns dafür ein, dass Ihr Arbeitsplatz erhalten bleibt.
- Selbstverständlich beraten wir Sie auch zu allen Anschlussfragen wie etwa zur frühzeitigen Rente oder dem Arbeitslosengeld I.
Für Arbeitgeber:
- Ein Stellenabbau sollte gut vorbereitet sein. Wir beraten Sie von Beginn bis zum Abschluss auf hohem arbeitsrechtlichem Niveau. Unser Fokus liegt auf rechtssicheren und wirtschaftlichen Lösungen.
- Sollten Klagen gegen Ihre Entlassungen erhoben werden, vertreten wir Ihre Interessen vor Gericht.