Massenentlassung: Voraussetzungen – Sozialplan – Abfindung

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Nicht immer sind bei Massenentlassungen die Voraussetzungen für eine Kündigung erfüllt. Wann lohnt es sich besonders, gegen eine Kündigung bei einer Massenentlassung vorzugehen?

  1. Was ist eine Massenentlassung?
  2. Welche Voraussetzungen gelten für den Arbeitgeber bei einer Massenentlassung?
    a. Anzeigepflicht
    b. Sperrfrist
    c. Sozialplan und Interessenausgleich
  3. Wann ist ein Vorgehen gegen eine Massenentlassung erfolgversprechend?
    a. Fehler bei den gesetzlichen Vorgaben zur Massenentlassung
    b. Fehlende Anhörung des Betriebsrates
    c. Fehlerhafte Sozialauswahl
    d. Besonderer Kündigungsschutz
  4. (Höhere) Abfindung durch Kündigungsschutzklage?
  5. Welche Kündigungsfrist gilt bei einer Massenentlassung? 
  6. Fazit
  7. Was wir für Sie tun können

1. Was ist eine Massenentlassung?

In den vergangenen Jahren haben z.B. Fluggesellschaften immer wieder für Schlagzeilen gesorgt. Diese wollten aufgrund der Grenzschließungen während der Covid-19-Pandemie ihr Angebot teils erheblich verringern und deshalb im großen Stil Personal abbauen. Fast immer handelte es sich dabei um Massenentlassungen. An deren zusätzlichen Voraussetzungen scheiterten dann auch einige Kündigungen vor Gericht. 

Wann eine Massenentlassung vorliegt, hängt von der Größe des Betriebes ab: Gem. § 17 Abs. 1 S. 1 KSchG handelt es sich um eine Massenentlassung, wenn innerhalb von 30 Tagen

  • bei Betrieben mit mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern mindestens fünf Arbeitnehmern gekündigt wird.
  • bei Betrieben mit 60 bis 500 Arbeitnehmern 10 % oder mindestens 25 Arbeitnehmern gekündigt wird.
  • bei Betrieben mit 500 Arbeitnehmern mindestens 30 Arbeitnehmern gekündigt wird.

Eine Entlassung liegt auch vor, wenn der Arbeitgeber die Beendigung des Arbeitsverhältnisses anders als durch eine Kündigung herbeiführt. Dies ist zum Beispiel bei Abschluss eines Aufhebungsvertrages der Fall, wenn die Initiative vom Arbeitgeber ausgeht. 

Nicht einberechnet werden grundsätzlich außerordentliche Kündigungen. Die Regelungen für Massenentlassungen gelten zudem nicht in Betrieben mit weniger als 20 Arbeitnehmern und Saisonbetrieben.

2. Welche Voraussetzungen gelten für den Arbeitgeber bei einer Massenentlassung?

An das Vorliegen einer Massenentlassung knüpfen sich zahlreiche Rechtsfolgen für den Arbeitgeber; dies sind unter anderem: 

a. Anzeigepflicht

Nach § 17 Abs. 1 KSchG muss der Arbeitgeber eine Massenentlassung bei der Agentur für Arbeit anzeigen. Mindestens zwei Wochen zuvor muss er zudem den Betriebsrat über die geplante Massenentlassung informieren. Man spricht von der sog. Massenentlassungsanzeige.

b. Sperrfrist

Gemäß § 18 Abs. 1 KSchG gilt für die Wirksamkeit von Kündigungen bei Massenentlassungen eine Sperrfrist von in der Regel einem Monat nach Erstattung der Massenentlassungsanzeige. So soll der Agentur für Arbeit ausreichend Zeit verschafft werden, die Folgen von Entlassungswellen möglichst gut abzufedern.

Ab der Zulässigkeit der Kündigung muss der Arbeitgeber die Kündigungen innerhalb von 90 Tagen aussprechen, danach ist eine erneute Massenentlassungsanzeige erforderlich. Durch diese Regelung wird „Anzeigen auf Vorrat“ durch den Arbeitgeber vorgebeugt.

c. Sozialplan und Interessenausgleich

Im Zuge einer Massenentlassung müssen in aller Regel zwischen dem Betriebsrat und dem Arbeitgeber Verhandlungen über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan stattfinden. 

Ein Interessenausgleich regelt das ob, wie und wann einer Massenentlassung durch den Arbeitgeber. Den Abschluss eines Interessenausgleichs kann der Betriebsrat jedoch nicht erzwingen. Das Gremium hat lediglich einen Anspruch auf Verhandlungen über einen Interessenausgleich. Kommt ein solcher aber zustande, kann der Arbeitnehmer Klage erheben, wenn der Arbeitgeber sich nicht an die Vereinbarungen aus dem Interessenausgleich hält. Auf diesem Weg kann der Arbeitnehmer eine erhöhte Abfindung bei einer betriebsbedingten Kündigung durchsetzen

Regelungsinhalt eines Interessenausgleichs kann zum Beispiel sein:

  • Versetzungsangebote für betroffene Arbeitnehmer
  • Das Zeitfenster für die Massenentlassung
  • Eine Namensliste mit sozial weniger schutzbedürftigen Arbeitnehmern. Beim Interessenausgleich mit Namensliste bestimmen der Betriebsrat und der Arbeitgeber einzelne Mitarbeiter, die sie für weniger schutzbedürftig halten und zur Kündigung auswählen. Für diese Mitarbeiter gilt ein geringerer Kündigungsschutz. Vor Gericht wird vermutet, dass die betrieblichen Erfordernisse zur Kündigung dieser Mitarbeiter vorliegen. Zudem kann die Sozialauswahl nur auf grobe Fehler untersucht werden.

Wenn Sie auf einer Namensliste stehen, sind die Chancen einer erfolgreichen Kündigungsschutzklage gering. Eine Klage kann sich je nach Fall dennoch lohnen.

Ein Sozialplan hingegen ist vom Betriebsrat erzwingbar. Er stellt eine Einigung über den Ausgleich und die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile dar, die dem Arbeitnehmer durch die Massenentlassung entstehen. Was das konkret heißt, hängt von den Verhandlungen zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat ab. 

Einige typische Regelungen für einen Sozialplan sind:

  • Vereinbarung einer Abfindung 
  • Aufstockung des Arbeitslosengeldes
  • Fortbildungen
  • Wechsel in eine Transfergesellschaft

An dieser Stelle wird deutlich, dass ein Betriebsrat für die Arbeitnehmer ab einer gewissen Unternehmensgröße wichtig sein kann. Ohne einen Betriebsrat kann es nicht zum Abschluss eines Sozialplans oder eines Interessenausgleichs kommen, wodurch die Position der betroffenen Arbeitnehmer erheblich verschlechtert wird.

3. Wann ist ein Vorgehen gegen eine Massenentlassung erfolgversprechend?

Aufgrund der zahlreichen zusätzlichen Voraussetzungen zur ordentlichen betriebsbedingten Kündigung muss der Arbeitgeber weit im Voraus planen, um eine Massenentlassung ordnungsgemäß durchzuführen. Die zahlreichen Fehlermöglichkeiten sind ein Einfallstor für vielfältige Strategien einer Kündigungsschutzklage. Aufgrund der kurzen Klagefrist von nur drei Wochen ist jedoch stets eine frühzeitige Abstimmung mit einem Fachanwalt für Arbeitsrecht geboten. Nach Ablauf der Frist ist nämlich auch eine eigentlich fehlerhafte Kündigung stets wirksam!

Typische Fehler des Arbeitgebers bei Massenkündigungen können sein:

a. Fehler bei den gesetzlichen Vorgaben zur Massenentlassung

Eine Kündigungsschutzklage kann erfolgreich sein, wenn der Arbeitgeber die Agentur für Arbeit nicht oder nicht vollständig über die geplante Massenentlassung informiert hat. Ebenso kann eine Kündigung an der fehlenden Unterrichtung des Betriebsrats scheitern. 

Das Bundesarbeitsgericht hat 2022 entschieden, dass die Massenentlassungsanzeige “Soll-Angaben“ wie Geschlecht, Alter und Beruf der Betroffenen nicht zwingend enthalten muss. Auch Anzeigen ohne diese Angaben sind wirksam. Darüber war zuvor Streit entbrannt.

b. Fehlende Anhörung des Betriebsrates

Zusätzlich zur Unterrichtung des Betriebsrats muss der Arbeitgeber vor jeder Kündigung diesen noch einmal anhören. Anschließend muss er diesem eine Woche Zeit für eine Stellungnahme geben. Kommt der Arbeitgeber dieser Pflicht nicht nach, ist eine Kündigung ebenfalls unwirksam. 

c. Fehlerhafte Sozialauswahl

Bei einer betriebsbedingten Kündigung muss der Arbeitgeber bestimmte Kriterien in der sogenannten Sozialauswahl berücksichtigen. So sollen diejenigen Arbeitnehmer geschützt werden, die am Arbeitsmarkt schlechtere Chancen auf einen neuen Job haben. Die zu berücksichtigenden Kriterien sind: 

  • Die Dauer der Betriebszugehörigkeit
  • Das Lebensalter
  • Eine Schwerbehinderung
  • Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers

Eine betriebsbedingte Kündigung, die diese Kriterien nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat, ist unwirksam. 

d. Besonderer Kündigungsschutz

Einige Arbeitnehmergruppen genießen einen so hohen Kündigungsschutz, dass sie ordentlich kaum kündbar sind.

Besonders vor ordentlichen Kündigungen geschützt sind zum Beispiel:

  • Betriebsratsmitglieder
  • Auszubildende nach der Probezeit
  • Schwerbehinderte
  • Schwangere

Gehören Sie zu einer dieser Gruppen, ist eine Kündigungsschutzklage mit einer hohen Wahrscheinlichkeit erfolgversprechend. Aus dieser Position lässt sich auch die Zahlung einer überproportional hohen Abfindung erstreiten.  

Ein besonderer Kündigungsschutz kann sich aber auch aus einer tarifvertraglichen Regelung ergeben: Häufig wird hier für Arbeitnehmer ab einer bestimmten Betriebszugehörigkeit und einem bestimmten Lebensalter der Ausschluss der ordentlichen Kündigung vereinbart. Ein vorzeitiges Ausscheiden ohne wichtigen Grund darf sich der Arbeitnehmer auch in diesem Fall teuer bezahlen lassen. 

In diesem Artikel erläutern wir, wie Arbeitgeber richtig kündigen.

4. (Höhere) Abfindung durch Kündigungsschutzklage?

Durch eine erfolgreiche Kündigungsschutzklage lässt sich zunächst einmal erreichen, dass das Arbeitsverhältnis bestehen bleibt. Dann kann zumindest für die Zeit, nachdem die Kündigung durch den Arbeitgeber erfolgt ist, Lohnnachzahlung verlangt werden. 

Häufig endet ein Kündigungsschutzverfahren jedoch mit einem Vergleich. Dabei verzichtet der Arbeitnehmer auf die Fortsetzung des Kündigungsschutzprozesses und bekommt im Gegenzug eine Abfindung vom Arbeitgeber gezahlt. Die Höhe der Abfindung variiert dabei stark, da sie von den wechselseitigen zu prognostizierenden Erfolgsaussichten abhängt. 

Als Faustformel für eine Abfindung lässt sich aber bei betriebsbedingten Kündigungen – und eine solche liegt bei Massenentlassungen in der Regel vor – folgende Berechnung heranziehen: 

0,5 Monatsgehälter x Jahre der Betriebszugehörigkeit

Diese Formel dient allerdings nur der groben Orientierung. Je nach voraussichtlichen Erfolgsaussichten der Klage sind auch geringere oder deutlich höhere Beträge möglich.

Eine Abfindung muss, wie der sonstige Arbeitslohn auch, versteuert werden. Rechtlich ist es jedoch möglich, die Abfindung fiktiv auf fünf Jahre zu verteilen und so eine einmalige, besonders hohe Steuerbelastung zu vermeiden.

5. Welche Kündigungsfrist gilt bei einer Massenentlassung? 

Unabhängig von der Anzahl der abgebauten Stellen gelten die gewöhnlichen Kündigungsfristen. In erster Linie ergeben diese sich aus dem Arbeits- oder Tarifvertrag. Nur wenn dort nichts geregelt oder die Vereinbarung unwirksam ist, kommen die gesetzlichen Fristen zum Einsatz. Diese richten sich nach § 622 BGB und haben folgende Dauer: 

Betriebszugehörigkeit Dauer der Kündigungsfrist
Vereinbarte Probezeit, max. in den ersten 6 Monaten 2 Wochen  
Weniger als 2 Jahre4 Wochen zum 15. oder zum Monatsende
Ab 2 Jahren1 Monat zum Monatsende
Ab 5 Jahren2 Monate zum Monatsende
Ab 8 Jahren3 Monate zum Monatsende
Ab 10 Jahren4 Monate zum Monatsende
Ab 12 Jahren5 Monate zum Monatsende
Ab 15 Jahren6 Monate zum Monatsende
Ab 20 Jahren7 Monate zum Monatsende

6. Fazit

  • Wann eine Massenentlassung vorliegt, hängt von der Betriebsgröße ab. 
  • Bei Massenentlassungen hat der Arbeitgeber eine Vielzahl an zusätzlichen Bestimmungen zu beachten. Dies erhöht die Fehlerwahrscheinlichkeit und die Chancen für den Arbeitnehmer, erfolgreich gegen die Kündigung vorzugehen.
  • Durch einen Interessenausgleich können Arbeitgeber und Betriebsrat die Modalitäten der Massenentlassung regeln. Stehen Sie auf einem Interessenausgleich mit Namensliste, ist Ihr Kündigungsschutz schwächer. 
  • In einem Sozialplan vereinbaren Arbeitgeber und Betriebsrat, wie die Folgen der Kündigung für betroffene Arbeitnehmer besser abgefedert werden können. Ein Sozialplan ist durch den Betriebsrat erzwingbar.
  • Werden Sie im Rahmen einer Massenentlassung gekündigt, ist stets schnelles Handeln gefragt. Wie bei jeder Kündigung kann eine Kündigungsschutzklage nur innerhalb von drei Wochen erhoben werden! Anschließend ist die Kündigung kaum noch angreifbar. 

7. Was wir für Sie tun können

Für Arbeitnehmer: 

  • Sollten Sie eine Kündigung erhalten haben, prüfen wir Ihre Entlassung und erheben in den meisten Fällen Klage vor dem Arbeitsgericht. Dort verhandeln wir über eine attraktive Abfindung oder setzen uns dafür ein, dass Ihr Arbeitsplatz erhalten bleibt.
  • Selbstverständlich beraten wir Sie auch zu allen Anschlussfragen wie etwa zur frühzeitigen Rente oder dem Arbeitslosengeld I.

Für Arbeitgeber: 

  • Ein Stellenabbau sollte gut vorbereitet sein. Wir beraten Sie von Beginn bis zum Abschluss auf hohem arbeitsrechtlichem Niveau. Unser Fokus liegt auf rechtssicheren und wirtschaftlichen Lösungen.
  • Sollten Klagen gegen Ihre Entlassungen erhoben werden, vertreten wir Ihre Interessen vor Gericht. 
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