Außerordentliche Verdachtskündigung

BAG, Urteil vom 24.5.2012, 2 AZR 206/11

 

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann (Tz. 15 des Urteils).

2. Im Strafverfahren gewonnene Erkenntnisse oder Handlungen der Strafverfolgungsbehörden können die Annahme verstärken, der Arbeitnehmer habe die Pflichtverletzung begangen. Allerdings wird die Verdachtskündigung nicht allein auf eine den dringenden Tatverdacht bejahende Entscheidung der Strafverfolgungsbehörden als solche gestützt werden können. Bei der Kündigung wegen erwiesener Tat reicht eine strafgerichtliche Verurteilung für sich genommen nicht aus, die Kündigung zu rechtfertigen. Vielmehr sind die Arbeitsgerichte gehalten, den Sachverhalt im Kündigungsschutzprozess ohne Bindung an das Strafurteil selbst aufzuklären und zu bewerten. Für die Verdachtskündigung wird nichts anderes gelten können. Dies hat zur Folge, dass Handlungen oder Entscheidungen der Strafverfolgungsbehörden allenfalls indizielle Bedeutung für die vom Gericht vorzunehmende Bewertung erlangen können, ob die Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund wegen des entsprechenden Verdachts gerechtfertigt ist. Die behördlichen Maßnahmen bilden dagegen für sich genommen keinen Kündigungsgrund und sind nicht geeignet, eine eigene Bewertung der den Verdacht begründenden Tatsachen durch die mit der Sache befassten Gerichte zu ersetzen  (Tz. 25, 26 des Urteils).

3. Die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers ist Wirksamkeitsvoraussetzung der Verdachtskündigung. Bei dieser besteht in besonderem Maße die Gefahr, dass der Arbeitnehmer zu Unrecht beschuldigt wird. Dessen Anhörung ist deshalb ein Gebot der Verhältnismäßigkeit. Unterbliebe sie, wäre die Kündigung nicht „ultima ratio“ (Tz. 32 des Urteils).

 

Bundesgerichtshof entscheidet über das ordentliche Kündigungsrecht der privaten Banken

BGH, Urteil vom 15. Januar 2013 – XI ZR 22/12

Der BGH hat entschieden, dass die ordentliche Kündigung eines Girovertrags nach Nr. 19 Abs. 1 AGB-Banken 2002 nicht voraussetzt, dass eine private Bank eine Abwägung ihrer Interessen an einer Beendigung des Vertragsverhältnisses mit den Interessen des Kunden an dessen Fortbestand vornimmt.

Auch statuiert das vom Grundsatz der Privatautonomie beherrschte bürgerliche Recht keine über eine mittelbare Drittwirkung des allgemeinen Gleichheitssatzes begründbare allgemeine Pflicht zur gleichmäßigen Behandlung, hier bei der Ausübung eines vertraglich vereinbarten ordentlichen Kündigungsrechts. Entsprechend oblag es der Beklagten nicht, eine Ungleichbehandlung der Klägerin im Verhältnis zu anderen Kunden mittels einer Angemessenheits- oder Verhältnismäßigkeitsprüfung sachlich zu rechtfertigen.

Sorgfaltspflichtsverletzung bei Pharming-Angriff

BGH: Urteil vom 24.04.2012 – XI ZR 96/11

Ein Bankkunde, der im Online-Banking Opfer eines Pharming-Angriffs wird, handelt fahrlässig, wenn er beim Log-In-Vorgang trotz ausdrücklichen Warnhinweises gleichzeitig zehn TAN eingibt (amtlicher Leitsatz).

Aus den Gründen (zusammenfassend):

Der Kläger (= Kunde) unterhielt bei der Beklagten (= Bank) ein Girokonto und nimmt seit 2001 am Online-Banking teil. Für Überweisungsaufträge verwendet die Beklagte das sog. iTAN-Verfahren, bei dem der Nutzer nach Erhalt des Zugangs durch Eingabe einer korrekten persönlichen Identifikationsnummer (PIN) dazu aufgefordert wird, eine bestimmte, durch eine Positionsnummer gekennzeichnete (indizierte) Transaktionsnummer (TAN) aus einer ihm vorher zur Verfügung gestellten, durchnummerierten TAN-Liste einzugeben. In der Mitte der Log-In-Seite des Online-Bankings der Beklagten befand sich vom 10. September 2008 bis zum 28. Juli 2009 folgender Hinweis:

“Derzeit sind vermehrt Schadprogramme und sogenannte Phishing-Mails in Umlauf, die Sie auffordern, mehrere Transaktionsnummern oder gar Kreditkartendaten in ein Formular einzugeben. Wir fordern Sie niemals auf, mehrere TAN gleichzeitig preiszugeben! Auch werden wir Sie niemals per E-Mail zu einer Anmeldung im Banking auffordern!”

Nach den Darlegungen des Klägers im gerichtlichen Verfahren habe er die Maske zum Online-Banking wie gewohnt aufgemacht. Danach kam der Hinweis, dass er im Moment keinen Zugriff auf Online-banking der Bank habe. Danach kam eine Anweisung zehn Tan-Nummern einzugeben. Die Felder waren nicht von 1 bis 10 durchnummeriert, sondern kreuz und quer. Er habe dann auch die geforderten Tan-Nummern, die er schon von der Bank hatte, in die Felder chronologisch eingetragen. Danach erhielt er Zugriff auf das Onlinebanking. Er habe dann unter Verwendung einer anderen Tan-Nummer eine Überweisung getätigt.

Vom Girokonto des Klägers wurde nach Eingabe seiner PIN und einer korrekten TAN ein Betrag von 5.000 € auf ein Konto bei einer griechischen Bank überwiesen. Der Kläger behauptet, er habe die Überweisung nicht veranlasst.

Dem Kläger steht kein Anspruch auf Zahlung von 5.000 € zu, da ein solcher, falls er mangels eines Überweisungsauftrags des Klägers bestanden hat, jedenfalls durch die Aufrechnung der Beklagten mit einem ihr in gleicher Höhe zustehenden Schadensersatzanspruch erloschen ist.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs trägt im Überweisungsverkehr zwar regelmäßig die Bank und nicht der Kunde das Risiko, dass Überweisungsaufträge gefälscht oder inhaltlich verfälscht werden (BGH, Urteil vom 17. Juli 2001 – XI ZR 325/00, WM 2001, 1712, 1713). Dem Bankkunden kommt jedoch die girovertragliche Pflicht zu, die Gefahr einer Fälschung soweit wie möglich auszuschalten

Das Verhalten des Klägers hat das Berufungsgericht als fahrlässig eingestuft, was der BGH in seinem Urteil als naheliegend bestätigte. Der Kläger konnte sich hier auf den neuen § 675v Abs. 2 BGB, der eine unbegrenzte Haftung des „Zahlers“ bei missbräuchlicher Nutzung eines Zahlungsauthentifizierungsinstruments nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit vorsieht, nicht berufen, da diese Vorschrift nicht für den streitgegenständlichen Überweisungsvorgang vom 26. Januar 2009 einschlägig war. Diese Vorschrift wurde erst durch Gesetz vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2355) mit Wirkung zum 31. Oktober 2009 eingefügt.

Anmerkung:

Fraglich ist, ob der Klägerseite die Vorschrift des § 675v Abs. 2 BGB, wonach der Kunde nur für grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz haftet, auch dann geholfen hätte, wenn die Vorschrift bereits anwendbar gewesen wäre. Denn das Verhalten des Klägers könnte – je nach Einzelfall – auch durchaus als grob fahrlässig eingestuft werden. Jeder Kunde wird regelmäßig darauf hingewiesen, dass die Bank (oder Sparkasse) niemals nach einer TAN außerhalb des Überweisungsauftrages fragen wird, insbesondere nicht nach 10 TANs. Der Kunde war auch offenkundig erfahren genug. Denn er nahm bereits seit 2001 am Onlinebanking teil.

Ausgleichsanspruch des Ausfallbürgen gegen den Regelbürgen

BGH, Urteil vom 20.03.2012 – XI ZR 234/11

Befriedigt der im Verhältnis zum Regelbürgen nur subsidiär haftende Ausfallbürge den Gläubiger der Hauptforderung, so steht ihm ein interner Ausgleichsanspruch gegen den Regelbürgen zu, der selbständig neben die kraft Gesetzes mit der Hauptforderung auf den Ausfallbürgen übergehende Bürgschaftsforderung gegen den Regelbürgen tritt.

 

Verlust des Sonderkündigungsschutzes bei wahrheitswidriger Verneinung des Vorliegens einer Schwerbehinderung

BAG, Urteil vom 16.02.2012 – 6 AZR 553 /10

1. Die Frage des Arbeitgebers nach der Schwerbehinderung bzw. einem diesbezüglich gestellten Antrag ist im bestehenden Arbeitsverhältnis jedenfalls nach sechs Monaten, d. h. gegebenenfalls nach Erwerb des Behindertenschutzes gemäß §§ 85 ff. SGB IX, zulässig. Das gilt insbesondere zur Vorbereitung von beabsichtigten Kündigungen (amtlicher Leitsatz des Gerichts).

2. Die Frage im Vorfeld einer Kündigung diskriminiert den Arbeitnehmer nicht wegen einer Behinderung unmittelbar i. S. des § 3 I 1 AGG. Die Frage dient vielmehr der Wahrung der Rechte und Interessen der Schwerbehinderten und ist Voraussetzung dafür, dass der Arbeitgeber die Belange des schwerbehinderten Menschen bei Kündigungen überhaupt wahren kann (Orientierungssatz des Gerichts).

3. Verneint der schwerbehinderte Arbeitnehmer die Frage nach seiner Schwerbehinderung im Vorfeld einer Kündigung wahrheitswidrig, ist es ihm im Kündigungsschutzprozess unter dem Gesichtspunkt widersprüchlichen Verhaltens verwehrt, sich auf seine Schwerbehinderteneigenschaft zu berufen. (Orientierungssatz des Gerichts).

Zahlungen eines Ehegatten auf ein Gemeinschaftskonto (sog. Oder-Konto) können der Schenkungssteuer unterliegen

BFH, Urteil vom 23.11.2011 – II R 33/ 10

Die Zahlung eines Ehegatten auf ein Gemeinschaftskonto (sog. Oder-Konto) beider Ehegatten kann eine Zuwendung im Sinne von § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG an den anderen Ehegatten sein. Eine Bereicherung des anderen Ehegatten liegt jedoch nur vor, wenn und soweit diese im Ver-hältnis zum einzahlenden Ehegatten tatsächlich und rechtlich frei über das eingezahlte Guthaben verfügen kann und die Zuwendung unentgeltlich ist.

Während einer intakten Ehe scheidet allerdings in der Regel eine Ausgleichspflicht aus, weil sich aus ausdrücklichen oder stillschweigenden Vereinbarungen, Zweck und Handhabungen des Kontos oder Vorschriften über die eheliche Lebensgemeinschaft ergibt, dass im Sinne von § 430 BGB „ein anders bestimmt ist“ (vgl. BGH, Urteil vom 29.11.1989 IVb ZR 4 / 89). Anderenfalls ist es maßgeblich, wie die Eheleute das Oder-Konto tatsächlich handhaben und hier insbesondere, wie sie die Mittel verwenden, die sie nicht für die laufende Lebensführung benötigen.

Alleine eine Einzahlung auf dem Oder – Konto durch einen Ehegatten ist kein ausreichender Anhaltspunkt dafür, dass der nicht einzahlende Ehegatte zur Hälfte an dem eingezahltem Betrag beteiligt sein sollte.

Falsche Beantwortung der Frage nach Schwerbehinderung

BAG, Urteil vom 07.07.2011 – 2 AZR 396/10

Die falsche Beantwortung einer dem Arbeitnehmer bei der Einstellung zulässigerweise gestellten Frage kann den Arbeitgeber dazu berechtigen, den Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten. Das setzt voraus, dass die Täuschung für den Abschluss des Arbeitsvertrags ursächlich war. Wirkt sich die Täuschung im Arbeitsverhältnis weiterhin aus, kann zudem eine Kündigung gerechtfertigt sein.

Auf dieser Grundlage hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts – ebenso wie die Vorinstanzen – entschieden, dass die von einem größeren Softwareunternehmen erklärte Anfechtung und Kündigung des Arbeitsvertrags einer Außendienstmitarbeiterin unwirksam sind. Die Klägerin hatte bei der Einstellung die Frage nach dem Bestehen einer Schwerbehinderung unzutreffend verneint. Die Täuschung war jedoch nicht ursächlich für den Abschluss des Arbeitsvertrags. Die Beklagte hat ausdrücklich erklärt, sie hätte die Klägerin auch dann eingestellt, wenn diese die Frage wahrheitsgemäß beantwortet hätte. Die Beklagte vermochte Anfechtung und Kündigung auch nicht darauf zu stützen, dass die Klägerin sie zugleich über ihre Ehrlichkeit getäuscht habe. Die Annahme der Beklagten, die Klägerin sei ehrlich, beruhte nicht auf deren falscher Antwort.

Anmerkung:

Das BAG hat in seiner Entscheidung die höchst umstrittene Frage, ob sich der Arbeitgeber vor der Einstellung nach dem Bestehen einer Schwerbehinderung überhaupt erkundigen darf, offen gelassen. Das BAG hat in früheren Entscheidungen ein solches Fragerecht dem Arbeitgeber zugestanden (BAG, Urteil vom 18.10.2000 – 2 AZR 380/99). Seit der Einführung des § 81 Abs. 2 SGB IX und des AGG (Benachteilgungsverbot schwerbehinderter Menschen) ist es umstritten, ob ein solches Fragerecht noch besteht.

Hemmung der Verjährung bei Verbraucherdarlehensverträgen

BGH, Urteil vom 05.04.2011 – XI ZR 201/09

Die Verjährung von Ansprüchen des Darlehensgebers gegen den Darlehensnehmer aus einem Verbraucherdarlehensvertrag, die vor dem 31. Dezember 2001 entstanden sind und zu diesem Zeitpunkt noch nicht verjährt waren, wird gemäß § 497 Abs. 3 Satz 3 BGB i.V.m. Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB ab dem 1. Januar 2002 gehemmt.

Die Verjährungshemmung nach § 497 Abs. 3 BGB erfasst sowohl die in den Darlehensraten enthaltenen Tilgungsanteile, Vertragszinsen und Bearbeitungsgebühren als auch die Verzugszinsen.

Verlusteausgleich wegen einer fehlerhaften Anlageberatung im Zusammenhang mit einem CMS Spread Ladder Swap- Vertrag

BGH: Urteil vom 22.03.2011 – XI ZR 33/10

1. Eine Bank muss bei der Anlageberatung vor der Abgabe einer Empfehlung die Risikobereitschaft des Anlegers erfragen, es sei denn, diese ist ihr aus einer langjährigen Geschäftsbeziehung oder dem bisherigen Anlageverhalten des Anlegers bereits bekannt. Die berufliche Qualifikation einer Mitarbeiterin des Anlegers als Diplom-Volkswirtin lässt für sich allein weder den Schluss auf deren Kenntnis von den spezifischen Risiken des CMS Spread Ladder Swap-Vertrages zu, noch kann allein aus etwaigen vorhandenen Vorkenntnissen auf die konkrete Risikobereitschaft des Anlegers geschlossen werden. (amtlicher Leitsatz)

2. Bei einem so hochkomplexen Anlageprodukt wie dem CMS Spread Ladder Swap-Vertrag muss die Aufklärung gewährleisten, dass der Anleger im Hinblick auf das Risiko des Geschäfts im Wesentlichen den gleichen Kenntnis- und Wissensstand hat wie die ihn beratende Bank, weil ihm nur so eine eigenverantwortliche Entscheidung darüber möglich ist, ob er die ihm angebotene Zinswette annehmen will. (amtlicher Leitsatz)

3. Bei einem CMS Spread Ladder Swap-Vertrag muss die beratende Bank über den negativen Marktwert aufklären, den sie in die Formel zur Berechnung der variablen Zinszahlungspflicht des Anlegers einstrukturiert hat, weil dieser Ausdruck ihres schwerwiegenden Interessenkonflikts ist und die konkrete Gefahr begründet, dass sie ihre Anlageempfehlung nicht allein im Kundeninteresse abgibt. (amtlicher Leitsatz)

4. Eine Bank, die eigene Anlageprodukte empfiehlt, muss grundsätzlich nicht darüber aufklären, dass sie mit diesen Produkten Gewinne erzielt. Der insofern bestehende Interessenkonflikt ist derart offenkundig, dass auf ihn nicht gesondert hingewiesen werden muss, es sei denn, es treten besondere Umstände hinzu. Solche besonderen Umstände liegen beim CMS Spread Ladder Swap-Vertrag vor, weil dessen Risikostruktur von der Bank bewusst zu Lasten des Anlegers gestaltet worden ist, um unmittelbar im Zusammenhang mit dem Abschluss des Anlagegeschäfts das Risiko verkaufen zu können, das der Kunde aufgrund ihrer Beratungsleistung übernommen hat. (amtlicher Leitsatz)