So kann man den Pflichtteil im Erbvertrag umgehen

Artikel Bewerten
4/5 - (6 votes)

Nach familiären Zerwürfnissen sollen die „Abtrünnigen“ oft von der Erbschaft ausgeschlossen werden. Der vollständigen Enterbung steht allerdings meist der Pflichtteil entgegen. Etwas Gestaltungsspielraum bietet dann ein Erbvertrag. Welche Mittel es gibt, um den Pflichtteil in einem Erbvertrag zu umgehen, erklären wir im folgenden Beitrag.

  1. Wem steht per Gesetz der Pflichtteil zu? 
  2. Pflichtteil im Erbvertrag umgehen: Welche Möglichkeiten gibt es?
    a. Schwere Verfehlung
    b. Verzicht auf den Pflichtteil im Erbvertrag
    c. Schenkungen zu Lebzeiten
    d. Pflichtteilsstrafklauseln im Berliner Testament 
    e. Weitere Möglichkeiten, den Pflichtteil zu umgehen
  3. Wann ist der Verzicht auf den Pflichtteil im Erbvertrag sittenwidrig? 
  4. Kann ich meinen Pflichtteil trotz Erbvertrag erhalten? 
  5. Fazit 

1. Wem steht per Gesetz der Pflichtteil zu? 

In den §§ 1924 ff. BGB ist festgelegt, wer nach dem Tod des Erblassers Erbe wird. Der Erblasser kann jedoch bereits zu Lebzeiten festlegen, dass eine bestimmte Person von der Erbschaft ausgeschlossen wird. Gerade enge Angehörige kann er aber nicht so leicht vollständig enterben. 

Diesen steht nämlich grundsätzlich zumindest die Hälfte ihres gesetzlichen Erbteils zu, der sog. Pflichtteil.

Pflichtteils­berechtigt sind zunächst die Abkömmlinge des Erblassers, also in erster Linie dessen Kinder. Lebt ein Kind bereits nicht mehr, steht dessen Kind (also dem Enkelkind) ein Pflichtteil zu. In gleicher Rangordnung wie die Kinder sind auch Ehegatten und eingetragene Lebenspartner pflichtteils­berechtigt. Daneben haben ggf. auch die Eltern des Erblassers Pflichtteils­ansprüche.  

Der Anspruch auf den Pflichtteil ist ein Geldanspruch und bezieht sich nicht auf den Nachlass selbst. Es können also zum Beispiel keine Gegenstände aus dem Nachlass herausverlangt werden. 

2. Pflichtteil im Erbvertrag umgehen: Welche Möglichkeiten gibt es?

Die Vermeidung des Pflichtteils ist nicht einfach, denn dieser ist laut dem Bundesverfassungsgericht sogar verfassungsrechtlich durch Art. 14 GG geschützt. 

Folgende Möglichkeiten kommen in Betracht, um den Pflichtteil (im Erbvertrag oder anderweitig) zu umgehen oder zu reduzieren:

a. Schwere Verfehlung 

Eine einseitige, vollständige Entziehung ist nur in seltenen Fällen möglich. Der Erbe muss sich dafür in hohem Maße falsch verhalten haben. Gemäß § 2333 BGB kann das etwa der Fall sein, wenn der Abkömmling dem Erblasser „nach dem Leben trachtet“ oder zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung verurteilt wurde. Letzteres ist sogar Jahrzehnte nach Absitzen der Freiheitsstrafe und trotz eines „geläuterten“ Lebenswandels möglich. 

b. Verzicht auf den Pflichtteil im Erbvertrag

Der Pflichtteil lässt sich per Erbvertrag auch umgehen, indem der Berechtigte auf seinen Anspruch verzichtet. Ein solcher Pflichtteils­verzicht gilt nicht nur für den Verzichtenden selbst, sondern auch für dessen Kinder und Enkelkinder.

Ein Pflichtteils­­verzicht muss notariell beurkundet werden. Wird er im Rahmen eines Erbvertrags erklärt, ist der Gang zum Notar ohnehin nötig. 

Natürlich verzichten nur die Wenigsten ohne Gegenleistung auf ihren Pflichtteil. Meist wird im Gegenzug eine Abfindung in Höhe des Pflichtteils gezahlt. Dies ist aber keinesfalls zwingend.

Ein Pflichtteils­verzicht kann zahlreiche Gründe haben: 

  • In zerrütteten Familien kann so einem tieferen Zerwürfnis vorgebeugt werden. 
  • Hat ein Nachkomme bereits zu Lebzeiten zahlreiche Zuwendungen erhalten, kann so ein gerechter Ausgleich für die anderen Erben geschaffen werden.
  • Auch wenn Erben Sozialhilfe beziehen, bietet sich oft ein Verzicht an (sog. Behindertentestament). 

Der Berechtigte kann auch bloß auf Teile seines Pflichtteils verzichten. So werden nur einzelne Nachlass­gegenstände aus der Pflichtteilsberechnung herausgenommen. Eine solche Regelung liegt nahe, wenn das Vermögen hauptsächlich in einem Nachlassgegenstand besteht, etwa einer Immobilie oder einem Unternehmen. Würde der Pflichtteils­berechtigte in einem solchen Fall seinen Teil geltend machen, könnte dies im schlimmsten Fall dazu führen, dass die Erben das Haus oder den Betrieb verkaufen müssten. 

Achtung: Wenn nur auf den Pflichtteil verzichtet wird, verliert der Verzichtende nicht seine Stellung als Erbe. Soll er von der Erbschaft insgesamt ausgeschlossen werden, ist zusätzlich eine Enterbung der jeweiligen Person erforderlich. Dies geschieht z.B. dadurch, dass der Erbvertrag das gesamte Vermögen anderen Personen zuordnet.

c. Schenkungen zu Lebzeiten 

Der Erblasser kann natürlich auch zu Lebzeiten einen Teil seines Vermögens verschenken und dadurch seinen Nachlass reduzieren. Der Pflichtteils­berechtigte mag dann zwar weiter seinen Anspruch haben; allerdings ist der Nachlass aufgrund der Schenkungen so klein, dass der Pflichtteils­anspruch kaum noch Wert hat.  

Aber Achtung: Gemäß § 2325 Abs. 1 BGB wird der Wert des verschenkten Nachlasses dem Pflichtteil trotzdem nachträglich einfach hinzugerechnet, als hätte die Schenkung nicht stattgefunden.

Unter Umständen kann der Pflichtteils­berechtigte sogar das Geschenk von dem Beschenkten herausverlangen. Die Schenkung wird allerdings jedes Jahr um ein Zehntel weniger berücksichtigt. Erst nach zehn Jahren besteht dieser sogenannte Pflichtteils­ergänzungsanspruch somit nicht mehr. 

Er bleibt allerdings auch über die zehn Jahre hinaus bestehen, wenn die Schenkung an den Ehegatten erfolgte. Auch die frühzeitige Verschenkung eines Grundstücks unter Einräumung eines Nießbrauch- oder Wohnrechts hilft hier nicht weiter – dieser jahrzehntelangen Praxis hat der BGH 1994 eine Absage erteilt (IV ZR 132/93). Demnach beginnt die Zehn-Jahres-Frist nicht zu laufen, wenn der Erblasser das Grundstück trotzdem wie vorher weitergenutzt hat.

Möglich ist allerdings der Verkauf einer Immobilie gegen eine Leibrente. Diese wird in der Regel bis zum Lebensende des Veräußerers gezahlt und gehört somit nicht mehr zu Nachlass. 

d. Pflichtteils­strafklauseln im Berliner Testament 

Pflichtteilstrafklauseln sind relevant, wenn sich beide Ehegatten gegenseitig zu Alleinerben einsetzen (sog. Berliner Testament). Dadurch werden deren Kinder zunächst enterbt und sollen erst nach dem Tod beider Eltern den Nachlass erhalten. 

Wenn ein Ehepartner nun verstirbt, besteht bereits ein Anspruch der Kinder auf deren Pflichtteil. Um zu verhindern, dass ein Kind den Pflichtteil geltend macht und nach dem Tod des zweiten Ehegatten dann noch zusätzlich als gesetzlicher Erbe begünstigt wird, gibt es Pflichtteilstrafklauseln. Danach steht einem Abkömmling, der seinen Pflichtteil geltend macht, auch nach dem Tod des zweiten Ehegatten nur sein Pflichtteil zu. So erhält der Erbe deutlich weniger, als wenn er den Tod des zweiten Ehegatten abgewartet hätte.  

e. Weitere Möglichkeiten, den Pflichtteil zu reduzieren 

Für Ehegatten, die im Güterstand der Gütertrennung leben, kann ein Wechsel in den Güterstand der Zugewinn­gemeinschaft sinnvoll sein. Dadurch erhöht sich der Erbteil des letzt­versterbenden Ehegatten um ¼ und reduziert dementsprechend den Pflichtteil anderer Erben.

Auch eine sogenannte Ausstattung für die eigenen Kinder kann zu einer Reduzierung des Pflichtteils führen. Dabei handelt es sich etwa um Beiträge zur Eheschließung oder zum Aufbau einer wirtschaftlichen Selbstständigkeit. Diese stellen jedoch keine Schenkung im Rechtssinne dar, sodass kein Pflichtteils­ergänzungsanspruch daraus entsteht.

Ein anderer Weg ist die Adoption von Kindern des Ehepartners. Dadurch verringert sich auch der Pflichtteil der eigenen Kinder.

3. Wann ist der Verzicht auf den Pflichtteil im Erbvertrag sittenwidrig?  

Nicht jeder Pflichtteils­verzicht in einem Erbvertrag ist wirksam. Unter Umständen ist der Verzicht sittenwidrig. Davon kann auszugehen sein, wenn der Verzichtende durch den Vertrag stark übervorteilt wird oder die Abfindung einen massiven Wertunterschied zum Pflichtteil aufweist. Allerdings müssen weitere Umstände hinzutreten. Die Sitten­widrigkeit kann sich insbesondere aus den Mitteln und äußeren Umständen des Vertragsschlusses ergeben.

Beispiel nach OLG Hamm, 08.11.2016, 10 U 36/15: Der Vater des Pflichtteils­berechtigten bot diesem zwei Tage nach seinem 18. Geburtstag einen 100.000 € teuren Sportwagen an, wenn er einen Pflichtteils­verzicht unterschreibt und seine Ausbildung mit Bestnote beendet. 

Das OLG Hamm erklärte diesen Verzichtsvertrag für sittenwidrig. Er entfalte eine Knebelwirkung in Bezug auf die beruflichen Entscheidungen des Sohnes. Durch das Bestnoten­erfordernis drohe er am Ende sogar leer auszugehen. Der Vater habe sich zudem die Unerfahrenheit seines Sohnes und dessen Begeisterung für den Sportwagen zunutze gemacht, um seine Ziele durchzusetzen.

Übrigens: Grundsätzlich nicht sittenwidrig ist ein Pflichtteils­verzicht eines behinderten Kindes, um zu verhindern, dass der Anspruch nach dem Erbfall auf das Sozialamt übergeleitet wird (OLG Hamm v. 09.11.2021 – 10 U 19/21) – sog. Behindertentestament.

Wie bei allen Rechtsgeschäften ist es grundsätzlich auch möglich, die Verzichts­erklärung wegen Täuschung, Drohung oder eines Irrtums anzufechten. Dies kommt grundsätzlich aber nur zu Lebzeiten des Erblassers in Betracht. 

4. Kann ich meinen Pflichtteil trotz Erbvertrag erhalten? 

Wie gezeigt, lässt sich der Pflichtteil auch in einem Erbvertrag nicht einfach umgehen. In aller Regel geht dies nur mit einem ausdrücklichen Verzicht. Selbst dieser ist gelegentlich unwirksam oder zumindest anfechtbar. 

Handlungsempfehlung: Sollten die Erben die Anerkennung des Pflichtteilsanspruchs und die Auszahlung des geschuldeten Betrags verweigern, sollten Betroffene zügig handeln. Das gilt auch dann, wenn die Erben sich auf einen Erbvertrag berufen. In vielen Fällen lässt sich der Pflichtteil erfolgreich durchsetzen – notfalls per Klage vor Gericht.

5. Fazit 

  • Ist ein Abkömmling oder Ehegatte von der Erbschaft ausgeschlossen, steht ihm grundsätzlich der Pflichtteil zu.
  • Auch durch einen Erbvertrag kann der Pflichtteil nicht einfach umgangen werden. 
  • Verzichtet ein gesetzlicher Erbe z.B. im Erbvertrag aber auf seinen Pflichtteil, kann er diesen nicht mehr geltend machen. Der Pflichtteils­verzicht ist jedoch unter Umständen sittenwidrig oder anfechtbar.
  • Pflichtteils­strafklauseln können etwa verhindern, dass Kinder im Falle eines Berliner Testaments ihren Pflichtteil geltend machen.
  • Schenkungen zu Lebzeiten reduzieren den Nachlass nicht, sondern werden diesem über einen Zeitraum von zehn Jahren hinzugerechnet.
  • Insbesondere Ehegatten stehen weitere Möglichkeiten offen, den Pflichtteil zumindest zu reduzieren.
4/5 - (6 votes)