Pflichtteilsergänzungsanspruch: Schenkungen rückabwickeln 

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Engen Angehörigen steht grundsätzlich der sogenannte Pflichtteil zu, selbst wenn der Verstorbene sie eigentlich vollständig enterben will. Manch einer verschenkt deshalb vor dem Tod sein Vermögen, um den Pflichtteil zu umgehen. Dann allerdings steht dem Angehörigen meist der sog. Pflichtteilsergänzungsanspruch zu. Wir erklären, was Sie dazu wissen müssen. 

  1. Was ist der Pflichtteilsergänzungsanspruch? 
  2. Von wem kann der Enterbte die Schenkung zurückverlangen?
  3. So viel können Berechtigte zurückverlangen
  4. Verjährung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs
  5. Diese Auskünfte können Enterbte verlangen 
  6. Welche Besonderheiten gelten bei Hausverkauf und Nießbrauch?
  7. Fazit

1. Was ist der Pflichtteilsergänzungsanspruch?

Der Pflichtteils­ergänzungsanspruch soll sicherstellen, dass enge Angehörige ihren gesetzlich zugesicherten Pflichtteil erhalten. 

Zum Pflichtteil 

Der Pflichtteil beträgt stets die Hälfte des gesetzlichen Erbteils, auch wenn der jeweilige Angehörige im Testament „enterbt“ ist. 

Beispiel für die Berechnung des Pflichtteils: Ein Vater wird allein von seinen zwei Söhnen beerbt. Er ist mit einem der beiden derart zerstritten, dass er ihn im Testament enterbt. Trotzdem hat der enterbte Sohn aber einen Anspruch auf den Pflichtteil, also die Hälfte des gesetzlichen Erbes. Da nur die beiden Söhne als Erben vorhanden sind, beliefe sich sein gesetzlicher Anteil auf 50%. Der Anspruch auf den Pflichtteil beläuft sich also auf 25% des Erbvermögens.

Pflichtteilsberechtigt sind folgende Angehörige: 

  1. Kinder und Ehepartner/eingetragene Lebenspartner 
  2. Abkömmlinge bereits verstorbener Abkömmlinge des Erblassers (Enkel, Urenkel,…)
  3. Eltern des Erblassers, sofern es keine erb- oder pflichtteils­berechtigten Abkömmlinge gibt

Voraussetzung ist zudem, dass die Person nicht auf den Pflichtteil verzichtet und der Verstorbene den Pflichtteil nicht aufgrund eines Zerwürfnisses im Sinne des § 2333 BGB entzogen hat. 

Zum Pflichtteilsergänzungsanspruch 

Das o.g. Beispiel zeigt, dass der Pflichtteil unter Umständen beträchtlich ausfällt. Um ihn zu verringern, versuchen viele, ihren Nachlass bereits vor dem Tod durch Schenkungen zu verkleinern. In das zu verteilende Erbe fließt nämlich grundsätzlich nur das ein, was zum Zeitpunkt des Todes im Vermögen des Erblassers vorhanden ist. An dieser Stelle kommt der Pflichtteilsergänzungsanspruch ins Spiel (§§2325, 2329 BGB). 

Mit dem Pflichtteilsergänzungsanspruch kann ein Ausgleich für Vermögen verlangt werden, das vor dem Erbfall verschenkt und dadurch aus dem Erbe entfernt wurde.

Beispiel: Der Vater aus dem o.g. Beispiel weiß um den Pflichtteil, den er seinem unliebsamen Sohn zukommen lassen muss. In seinen letzten Lebensjahren verschenkt er deshalb einen Großteil seines Vermögens bereits an den anderen, favorisierten Sohn. Nach seinem Tod beträgt der Pflichtteil wieder 25%. Da aber kaum noch Vermögen vorhanden ist, fällt der Pflichtteil nun viel geringer aus. 

Nach § 2325 Abs. 1 BGB kann nun der enterbte Sohn eine Ergänzung des Pflichtteils verlangen. Die verschenkten Vermögenswerte werden zum Erbe wieder hinzugerechnet, sodass der 25%- Pflichtteil wieder höher ausfällt; quasi so, als wären die Schenkungen nie geschehen. Der Ausgleich erfolgt dabei ausschließlich in Form einer Geldzahlung.

Achtung: Ein Anspruch auf Pflichtteilsergänzung besteht nicht, wenn die Schenkung wegen „einer sittlichen Pflicht“ oder aus Anstandsgründen erfolgt. 

Beispiele (sehr einzelfallabhängig!):

  • Hochzeits-, Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke in einem Umfang, die den Gepflogenheiten im sozialen Umfeld des Schenkers entsprechen 
  • Unterhaltszahlungen an nichtehelichen Lebenspartner oder nahe Verwandte 
  • Auch großzügige Geschenke (Grundstück o.ä.) als Dank für jahrelange Pflege

2. Von wem kann der Enterbte die Schenkung zurückverlangen?

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch richtet sich grundsätzlich gegen die Erben. Das ist vor allem dann wichtig, wenn die Schenkung nicht an einen anderen Erben, sondern an einen Dritten ging. Hintergrund ist, dass die Erben dem Erblasser grundsätzlich in dessen Rechtsstellung nachfolgen und daher auch primär dafür aufkommen sollen, dass der Erblasser durch die Schenkungen das Erbe unangemessen verringert hat. Sie haben am Ende also das Nachsehen. Einen Anspruch gegen den beschenkten Dritten haben die Erben grundsätzlich nicht. 

Unter Umständen können Pflichtteilsberechtigte sich nachrangig auch an den beschenkten Dritten selbst wenden. Das ist insbesondere der Fall, wenn 

  • der Erbe seine Haftung auf den Nachlass beschränkt hat und 
  • der Nachlass für die Ergänzung des Pflichtteils nicht ausreicht. 

Dann dürfen Berechtigte sich direkt an den Beschenkten richten und von ihm den Pflichtteilsergänzungsanspruch verlangen. Dabei geht es aber grundsätzlich nicht um eine Geldzahlung. Der Anspruch richtet sich jetzt direkt auf das Geschenk. Geld steht dem berechtigten Angehörigen nur in diesen Fällen zu: 

  • Der Beschenkte entscheidet selbst, dass er statt des Gegenstands nur den Geldwert herausgibt. 
  • Es wurde ein reiner Geldbetrag verschenkt.
  • Ist der Gegenstand verloren- oder untergegangen, steht dem Berechtigten ggf. Wertersatz zu. Dies gilt allerdings meist nur, wenn der Wert der Schenkung beim Beschenkten noch vorhanden ist (Negativbeispiel: Das verschenkte und nicht versicherte Haus ist abgebrannt).

Achtung: Hat der Verstorbene mehrere beschenkt, muss der Enterbte sich primär an den zuletzt Beschenkten halten. Nur wenn dessen Geschenke zur Vervollständigung des Pflichtteils in voller Höhe nicht ausreichen, darf er sich an zeitlich früher Beschenkte wenden.

Hier können nur die Grundzüge des Ergänzungsanspruchs dargelegt werden. Im einzelnen Fall kann es aber schwierig sein, den richtigen Schuldner und den Umfang des Anspruchs zu bestimmen. Ein Rechtsanwalt für Erbrecht kann Ihnen dann am besten weiterhelfen.  

3. So viel können Berechtigte zurückverlangen

In den § 2325 Abs. 2 und 3 BGB ist geregelt, wieviel Berechtigte per Pflichtteilsergänzungsanspruch zurückverlangen können: 

  • Grundsatz: Ausschlaggebend ist nach Abs. 2 der Verkehrswert des Geschenks, also was im Wirtschaftsgeschehen für das Geschenk veranschlagt würde. 
  • Verzehrbare oder verbrauchbare Sachen: Bei Gegenständen, die im Laufe der Zeit verzehrt oder verbraucht werden, kommt es auf den Wert zum Zeitpunkt der Schenkung an. 
  • Unverbrauchbare Sachen: Für unverbrauchbare Dinge greift das sogenannte Niederstwertprinzip. Dabei wird der Wert des Geschenks zum Zeitpunkt der Schenkung und zum Zeitpunkt des Erbfalls verglichen. Von beiden Werten ist dann der niedrigere maßgeblich. 

Zeitlich gesehen werden nur Geschenke in die Berechnung einbezogen, die in den letzten zehn Jahren vor dem Erbfall vom Erblasser gemacht wurden. Dabei kommt es darauf an, ob der Zeitpunkt des Schenkungserfolgs innerhalb dieser 10 Jahre liegt. Das ist grundsätzlich dann der Fall, wenn das Geschenk in das Eigentum des Beschenkten übergegangen ist. Bei Grundstücken ist das zum Beispiel erst der Fall, wenn die Umschreibung im Grundbuch erfolgt ist. 

Wichtig: Je weiter die Schenkung zurückliegt, desto weniger kann der Berechtigte von ihr verlangen.

Folgende Werte gelten: 

Abstand zwischen Schenkung und Todesfall:Berechtigter erhält von der Schenkung bis zu:
Ein Jahr 100%
Bis zu zwei Jahre90%
Bis zu drei Jahre80%
Bis zu vier Jahre70%
Bis zu fünf Jahre60%
Bis zu sechs Jahre 50%
Bis zu sieben Jahre40%
Bis zu acht Jahre30%
Bis zu neun Jahre20%
Bis zu zehn Jahre 10%
Ab zehn Jahren0%

4. Verjährung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs

Für den Pflichtteilsergänzungsanspruch gilt die allgemeine Verjährungsfrist von drei Jahren, § 195 BGB. Umstritten ist aber oft der Beginn der Frist, für den insbes. die Kenntnis des Berechtigten maßgeblich ist. Damit die Frist beginnt, muss der Berechtigte Kenntnis

  • von der Verfügung des Erblassers (z.B. also der Enterbung) und
  • von der Schenkung haben, die seinen Pflichtteil verringert. 

Daher kann der Fristbeginn unter Umständen weit hinter dem Erbfall liegen. Auch für die korrekte Berechnung der Frist lohnt es sich, einen Anwalt für Erbrecht hinzuzuziehen.

5. Diese Auskünfte können Enterbte verlangen

Enterbte sind zur Durchsetzung ihres Pflichtteilsergänzungsanspruchs auf Informationen zum Erbe und den verschenkten Vermögenswerten angewiesen. 

Gemäß § 2314 BGB können sie daher folgende Informationen von den Erben bzw. den Beschenkten einfordern: 

  • Grundsätzlich haben Pflichtteilsberechtigte einen Auskunftsanspruch über alle Nachlassaktiva, also über die Vermögensgegenstände und -werte des Nachlasses. 
  • Auch die im Nachlass enthaltenen Verpflichtungen (Passiva) müssen ihnen mitgeteilt werden. 
  • Über die für den Pflichtteil relevanten Zuwendungen und Schenkungen, die möglicherweise aus dem Nachlass getätigt wurden, sind sie ebenfalls zu informieren. Dazu gehören sogar die Empfänger der entsprechenden Leistungen. 

6. Welche Besonderheiten gelten bei Hausverkauf und Nießbrauch?

Wie dargestellt, greift der Pflichtteilsergänzungsanspruch nur, wenn sich die Erbmasse durch Schenkung verringert. Wird aber zum Beispiel ein Haus nicht verschenkt, sondern verkauft, kann der Enterbte für den Immobilienwert keine Pflichtteilsergänzung verlangen. Dafür besteht aber auch keine Notwendigkeit, weil schließlich der Verkaufserlös der Immobilie in die Erbmasse eingeflossen ist.

In Ausnahmefällen kann allerdings auch ein Verkauf zu einem Pflichtteilsergänzungsanspruch führen, und zwar bei sog. gemischten Schenkungen. Diese kommen insbesondere in folgenden Fällen in Betracht:

  • Der Gegenstand wird zu einem Preis weit unter dem Marktwert verkauft. 
  • Eine Immobilie wird unter dem Vorbehalt verschenkt, dass der Schenkende ein Nießbrauchrecht an ihr erhält.    

Bei einer gemischten Schenkung stellen sich komplizierte Bewertungsfragen. Vereinfacht ausgedrückt wird nur derjenige Teil des Vermögensgegenstands als Geschenk behandelt, der den Wert der Gegenleistung übersteigt.

7. Fazit

  • Einige Angehörige können grundsätzlich nicht vollständig enterbt werden. Ihnen steht zumindest der Pflichtteil in Höhe der Hälfte ihres gesetzlichen Erbteils zu.
  • Enterbte können einen Pflichtteilsergänzungsanspruch haben, wenn der Verstorbene in den letzten zehn Jahren vor dem Erbfall üppige Schenkungen gemacht hat. 
  • Die verschenkten Vermögenswerte werden dem Erbe, aus dem sich der Pflichtteil berechnet, wieder hinzugerechnet. Ggf. können Berechtigte sogar vom Beschenkten Ausgleich verlangen.
  • Um die entsprechenden Informationen einzuholen, haben die Enterbten einen Auskunftsanspruch gegen die Erben und Beschenkten. 
  • Besonders großer Beratungsbedarf besteht, wenn eine Immobilie unter Nießbrauchsvorbehalt verschenkt wurde. 
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