Leitende Angestellte treffen typischerweise Entscheidungen mit großer Tragweite für das Unternehmen, wie insbesondere über Einstellungen und Entlassungen. Aufgrund ihrer besonderen Nähe zur Unternehmensleitung gelten für sie im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern einige arbeitsrechtliche Besonderheiten. Insbesondere sind besondere Bestimmungen für den Kündigungsschutz leitender Angestellter vorgesehen, die wir hier ausführlich darstellen.
- Wer ist leitender Angestellter?
- Haben leitende Angestellte Kündigungsschutz?
- Kann ein leitender Angestellter Weiterbeschäftigung verlangen?
- Wie hoch ist die Abfindung nach einem Auflösungsantrag?
- Was kann der Betriebsrat für leitende Angestellte tun?
- Was kann der Sprecherausschuss für leitende Angestellte tun?
- Was gilt bei einer Massenentlassung für leitende Angestellte?
- Fazit
- Was wir für Sie tun können
1. Wer ist leitender Angestellter?
Ein leitender Angestellter ist jeder Arbeitnehmer, der im erheblichen Maß selbständig Aufgaben übernimmt, die sonst klassischerweise dem Arbeitgeber zufallen. Entscheidend sind die tatsächlichen Aufgaben und Befugnisse, nicht nur die Stellenbezeichnung.
Folgende Kriterien sprechen für die Eigenschaft als leitender Angestellter oder sind dafür Voraussetzung:
- Die Befugnis, selbstständig Arbeitnehmer einzustellen oder zu entlassen; dieses Recht muss sich auf eine erhebliche Anzahl beziehen oder Arbeitnehmer betreffen, deren Tätigkeit und Qualifikation von besonderer Bedeutung ist
- Eine Prokura oder Generalvollmacht, also besondere kaufmännische Vertretungsformen (indiziell, weitere Merkmale erforderlich)
- Die Zuteilung anderer Führungsaufgaben mit erheblichem Entscheidungsspielraum
Beispiele für einen leitenden Angestellten sind etwa der Betriebsleiter einer größeren Einheit oder ein Arbeitnehmer, der einer Abteilung mit vielen Mitarbeitern vorsitzt. Zwingend erforderlich ist jeweils ein beträchtlicher Entscheidungsspielraum. Der Arbeitnehmer darf also nicht nur vorgefertigte Entscheidungen umsetzen. Hingegen folgt allein aus der Aufsichtspflicht über die Arbeit anderer Arbeitnehmer keine leitende Stellung. Ein Polier oder Werkmeister ist daher grundsätzlich kein leitender Angestellter. Auch die Beschäftigung als Chefarzt genügt allein nicht; es müssen weitere, die wirtschaftliche Leitung betreffende Befugnisse hinzukommen.
Hinweis: Geschäftsführer einer GmbH, Vorstandsmitglieder einer AG oder andere Organe sind in aller Regel schon keine Arbeitnehmer und somit erst recht keine leitenden Angestellten.
2. Haben leitende Angestellte Kündigungsschutz?
Trotz der Nähe zum Arbeitgeber gilt: Der Kündigungsschutz leitender Angestellter richtet sich ebenso wie bei gewöhnlichen Arbeitnehmern nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Ihnen darf daher nur ordentlich (fristgerecht) gekündigt werden, wenn die Kündigung sozial gerechtfertigt ist (§ 1 Abs. 1 KSchG), d.h. verhaltensbedingte, personenbedingte oder aber betriebsbedingte Gründe die Kündigung rechtfertigen.
Voraussetzung dafür ist, dass sie länger als sechs Monate in einem Betrieb mit mehr als zehn Arbeitnehmern beschäftigt sind (§§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 S. 2 und 3 KSchG).
Hinweis: Wenn Ihr Arbeitsverhältnis schon vor dem 31.12.2003 begonnen hat, reichen bereits fünf Beschäftigte in Ihrem Betrieb aus, damit das KSchG anwendbar ist.
Betriebsbedingte Kündigungen richten sich nach denselben gesetzlichen Kriterien (dringende betriebliche Erfordernisse, Sozialauswahl etc.) wie andernfalls auch. In der Praxis haben leitende Angestellte hierbei aber oft eine geringere Vergleichsgruppe, sodass ihr Arbeitsplatz bei Restrukturierungen eher zur Disposition steht. Betriebsräte treten bei der Sozialauswahl obendrein oftmals nicht für sie ein (siehe unten).
Auch für außerordentliche (fristlose) Kündigungen gelten dieselben Vorschriften wie für gewöhnliche Arbeitnehmer. Außerordentliche Kündigungen kommen zum Beispiel bei einem Diebstahl am Arbeitsplatz in Betracht.
Verglichen zu normalen Arbeitnehmern lässt sich eine außerordentliche Kündigung eines leitenden Angestellten aber tendenziell leichter begründen. Dies folgt aus der besonderen Vertrauensstellung, die der leitende Angestellte innehat. Verhalten, das bei einem normalen Arbeitnehmer zunächst nur eine Abmahnung rechtfertigen würde, kann bei einem leitenden Angestellten unter Umständen bereits als Kündigungsgrund ausreichen.
3. Kann ein leitender Angestellter Weiterbeschäftigung verlangen?
Nein, der Kündigungsschutz leitender Angestellter ist an einer Stelle entscheidend eingeschränkt: de facto kann ein leitender Angestellter keine Weiterbeschäftigung gegen den Willen des Arbeitgebers erzwingen. Zumindest gilt dies für ordentliche Kündigungen nach dem Kündigungsschutzgesetz (Erklärung s.o.).
Hintergrund ist der sog. Auflösungsantrag, § 14 Abs. 2 S. 2 KSchG. Klagt der leitende Angestellte gegen seine ordentliche Kündigung, kann der Arbeitgeber jederzeit ohne weitere Begründung vom Gericht verlangen, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen. Das Gericht muss dem Auflösungsantrag ohne Prüfung der sachlichen Berechtigung nachkommen.
Merke: Der Kündigungsschutz leitender Angestellter ist durch eine Geldabfindung, nicht durch Weiterbeschäftigung gewährleistet.
In der Praxis hat der Arbeitgeber zwei Optionen, wenn er einem leitenden Angestellten kündigt und dieser klagt:
- Sieg im Kündigungsschutzprozess: Gelingt es, das Gericht von der Wirksamkeit der Kündigung zu überzeugen, endet das Arbeitsverhältnis ohne Abfindung, wie bei jedem anderen Arbeitnehmer auch.
- Niederlage im Kündigungsschutzprozess: Wenn das Gericht zu einer Unwirksamkeit der Kündigung tendiert, kann der Arbeitgeber noch bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung, ggf. auch noch in der Berufungsinstanz, den Auflösungsantrag stellen. Das Arbeitsverhältnis wird dann gegen Abfindungszahlung beendet. Ein Weiterbeschäftigungsanspruch besteht nicht, selbst wenn die Kündigung sozialwidrig war.
Wichtig: Der Arbeitgeber muss den Auflösungsantrag zwar nicht begründen, sollte dies aber taktisch erwägen. Denn die Höhe der Abfindung kann vom Gericht freier bestimmt werden, und ohne nachvollziehbaren Grund für die Auflösung tendieren die Gerichte eher zu einem hohen Abfindungssatz (bis hin zum gesetzlich zulässigen Maximum, s.u.).
Eine Begründung (z.B. ein gestörtes Vertrauensverhältnis oder Führungsfehler) kann das Gericht veranlassen, die Abfindung moderater festzusetzen. In jedem Fall aber endet das Arbeitsverhältnis endgültig.
4. Wie hoch ist die Abfindung nach einem Auflösungsantrag?
Die Höhe der Abfindung setzt das Arbeitsgericht nach seinem Ermessen innerhalb der gesetzlichen Grenzen fest. Die vorgeschriebenen Obergrenzen sind:
Alter und Betriebszugehörigkeit | Maximal zulässige Abfindungshöhe |
Bis zum 50. Lebensjahr | 12 Monatsgehälter |
Älter als 50 und über 15 Jahre Betriebszugehörigkeit | 15 Monatsgehälter |
Älter als 55 und über 20 Jahre Betriebszugehörigkeit | 18 Monatsgehälter |
An die Vorschläge des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers ist das Gericht nicht gebunden. Kriterien bei der Bemessung sind im Einzelfall unter anderem
- die Dauer der Betriebszugehörigkeit,
- das Maß der Sozialwidrigkeit der Kündigung,
- das Alter,
- der Familienstand
- sowie die wirtschaftliche Lage des Arbeitnehmers.
Bei der Bemessung der Abfindungshöhe ist das Gericht unter anderem auf die Begründung des Aufhebungsantrags angewiesen. Begründet der Arbeitgeber den Antrag nicht (was ihm nicht verboten ist, s.o.), veranschlagen die Gerichte in der Regel eine deutlich höhere Abfindung.
Im Übrigen hat sich in der Praxis als erste Auffanggröße eine Abfindung in Höhe eines halben Bruttomonatsgehalts pro Beschäftigungsjahr durchgesetzt.
5. Was kann der Betriebsrat für leitende Angestellte tun?
Im Ergebnis nichts, denn leitende Angestellte sind von der betrieblichen Mitbestimmung weitgehend ausgenommen. Insbesondere werden sie nicht vom Betriebsrat vertreten. Dies hat mehrere Konsequenzen:
- Anders als normale Arbeitnehmer können leitende Angestellte keinen Einspruch gegen die Kündigung beim Betriebsrat einlegen.
- Vor Ausspruch der Kündigung eines normalen Arbeitnehmers muss der Arbeitgeber den Betriebsrat anhören. Bei leitenden Angestellten hingegen ist der Betriebsrat nicht beteiligt. Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat nicht informieren oder anhören, wenn er einem leitenden Angestellten kündigt.
- Aus denselben Gründen kann der Betriebsrat einer Kündigung eines leitenden Angestellten auch nicht widersprechen.
Kurz gesagt: Leitende Angestellte stehen außerhalb der allgemeinen Betriebsratsstruktur. Im Konfliktfall kann sich ein leitender Angestellter daher nicht auf die Unterstützung eines Betriebsrats stützen und muss seine Interessen selbst durchsetzen.
6. Was kann der Sprecherausschuss für leitende Angestellte tun?
In größeren Unternehmen mit mehreren leitenden Angestellten wird gemäß dem Sprecherausschussgesetz (SprAuG) ein Sprecherausschuss gewählt, quasi das Pendant zum Betriebsrat für leitende Angestellte. Dieser Ausschuss hat jedoch deutlich eingeschränktere Rechte.
Eine der wenigen wichtigen Befugnisse ist das Anhörungsrecht bei Kündigungen:
§ 31 Abs. 2 SprAuG schreibt vor, dass der Arbeitgeber den Sprecherausschuss vor jeder Kündigung eines leitenden Angestellten anhören und über die Kündigungsgründe informieren muss. Ein Zustimmungs- oder Widerspruchsrecht hat der Sprecherausschuss jedoch nicht. Er kann die Kündigung also nicht verhindern, sondern lediglich seine Stellungnahme abgeben.
Trotzdem ist die Anhörung rechtlich bedeutsam: Unterlässt der Arbeitgeber die vorgeschriebene Anhörung vollständig, ist die Kündigung unwirksam. Gleiches gilt, wenn die Anhörung bewusst unvollständig oder irreführend erfolgt (ArbG Köln, Urt. v. 16.01.2020, 6 Ca 2162/19).
7. Was gilt bei einer Massenentlassung für leitende Angestellte?
Für leitende Angestellte gilt der verfahrensrechtliche Schutz vor Massenentlassungen nach ausschließlich deutschem Recht nicht. Ab einer Betriebsgröße von 21 Mitarbeitern hat der Arbeitgeber größere Entlassungswellen der Agentur für Arbeit anzuzeigen. Leitende Angestellte sind von dieser Anzeigepflicht ausdrücklich ausgenommen (§ 17 Abs. 5 KSchG).
Achtung: Diese gesetzliche Ausnahme ist durch die Rechtsprechung der Europäischen Union relativiert worden. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat 2015 entschieden, dass der Begriff des “Arbeitnehmers” in der Massentlassungsrichtlinie autonom auszulegen ist und nationale Sonderkategorien nicht einfach ausgenommen werden dürfen.
Konkret urteilte der EuGH, dass selbst Fremd-Geschäftsführer einer GmbH unter Umständen als Arbeitnehmer im Sinne der Richtlinie zählen. Im selben Zuge stellte der EuGH klar, dass auch leitende Angestellte im Sinne des deutschen Rechts grundsätzlich als Arbeitnehmer zu behandeln sind (EuGH, Urt. v. 09.07.2015 – C-229/14).
Die Konsequenz: Trotz § 17 Abs. 5 KSchG sollten leitende Angestellte bei Massenentlassungen vorsorglich mitgezählt und in die Anzeige einbezogen werden.
Die deutschen Gerichte wenden inzwischen eine europarechtskonforme Auslegung an. Das heißt, ein Arbeitgeber, der z.B. 30 Kündigungen ausspricht und davon 5 leitende Angestellte nicht anzeigt, riskiert, dass alle Kündigungen wegen Verstoßes gegen das Anzeigeverfahren unwirksam sind. In der Praxis empfiehlt es sich also, lieber zu viele als zu wenige Entlassungen anzuzeigen, um der strengen Linie der europäischen Rechtsprechung gerecht zu werden.
8. Fazit
- Leitende Angestellte genießen grundsätzlich denselben Kündigungsschutz wie andere Arbeitnehmer, jedoch mit entscheidenden Einschränkungen. Besonders relevant ist der Auflösungsantrag des Arbeitgebers, der eine Weiterbeschäftigung verhindern kann.
- Statt Ihres Arbeitsplatzes haben leitende Angestellte im Kündigungsschutzprozess meist Anspruch auf eine Abfindung. Deren Höhe hängt stark von Dauer der Betriebszugehörigkeit, Alter und den Umständen des Falls ab.
- Leitende Angestellte werden nicht vom Betriebsrat vertreten. Das bedeutet, dass sie im Kündigungsfall keine Unterstützung oder Schutzmechanismen aus der betrieblichen Mitbestimmung in Anspruch nehmen können.
- Wo ein Sprecherausschuss besteht, muss dieser vor jeder Kündigung angehört werden. Erfolgt dies nicht ordnungsgemäß, ist die Kündigung unwirksam.
- Auch wenn das deutsche Recht leitende Angestellte ausnimmt, sollten sie wegen europäischer Rechtsprechung in die Anzeige einbezogen werden. Arbeitgeber, die dies versäumen, riskieren die Unwirksamkeit sämtlicher Kündigungen.
- Leitende Angestellte sollten ihre rechtliche Stellung genau kennen und im Konfliktfall frühzeitig handeln. Gerade bei Kündigungen sind Taktik, Prozessführung und Verhandlungsgeschick entscheidend.
9. Was wir für Sie tun können
Wir beraten und vertreten umfassend im Arbeitsrecht. Dazu gehört die Prüfung der Wirksamkeit einer Kündigung, die Durchsetzung oder Verhandlung einer angemessenen Abfindung sowie die strategische Begleitung im Kündigungsschutzprozess.
Zudem unterstützen wir bei der Bewertung Ihrer arbeitsvertraglichen Stellung und klären, ob Sie tatsächlich als leitender Angestellter einzustufen sind. Gerade in Grenzfällen kann dies über Ihre Rechte und Handlungsmöglichkeiten entscheiden.
Schließlich stehen wir Ihnen auch bei internen Konflikten, Verhandlungen über Aufhebungsverträge oder bei Fragen zur betrieblichen Mitbestimmung (Sprecherausschuss, Massenentlassung) zur Seite. Unser Ziel ist es, Ihre Position bestmöglich zu sichern und wirtschaftlich vorteilhafte Lösungen zu erreichen.